Tierversuche: Zahlen, Mythen, Alternativen (010)
Shownotes
Zum Thema Tierversuche kursieren viele Mythen und Falschinformationen im Netz. Immer wieder ist beispielsweise die Rede von dubiosen kriminellen Tierfängern, die freilaufende Hunde und Katzen einfangen und als Versuchstiere an Labore verkaufen. In dieser „Risiko“-Folge nehmen wir solche Mythen unter die Lupe, sprechen über die aktuellen Tierversuchszahlen in Deutschland und über die Suche nach Alternativen.
Gäste: Dr. Philipp Schwedhelm, Deutsches Zentrum zum Schutz von Versuchstieren (Bf3R) am BfR
Moderation: Sonja Schäche und Stefan Römermann
Links:
Aktuelle Statistik: Verwendung von Versuchstieren im Berichtsjahr 2024
Fragen und Antworten zu Tierversuchen, Alternativmethoden und Versuchstierzahlen
Fragen und Antworten zum Deutschen Zentrum zum Schutz von Versuchstieren (Bf3R)
Fragen und Antworten zu Tierversuchen am Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR)
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00:00:04: Risiko - Der BfR-Podcast
00:00:11: Stefan Römermann: Wenn wir hier im Risikopodcast über Wissenschaft und wissenschaftliche Studien sprechen, dann fallen immer wieder auch zwei Worte. Tierstudien und Tierversuche. Denn gerade bei den Fragen, die uns hier am BfR beschäftigen und auch hier im Podcast beschäftigen, da spielen regelmäßig Ergebnisse aus Tierversuchen eine ziemlich wichtige Rolle.
00:00:30: Sonja Schäche: Außerdem ist bei uns am Bundesinstitut für Risikobewertung auch das Deutsche Zentrum zum Schutz von Versuchstieren angesiedelt. Und weil das Zentrum in diesem Jahr auch sein zehnjähriges Bestehen feiert, beschäftigen wir uns in dieser Risikofolge einmal ganz ausführlich mit dem Thema Tierversuche. Wir wollen aufklären über Zahlen, Mythen und Alternativen.
00:00:51: Stefan Römermann: Und damit hallo und herzlich willkommen zu "Risiko", dem Wissenschaftspodcast vom Bundesinstitut für Risikobewertung. Mein Name ist Stefan Römermann.
00:00:59: Sonja Schäche: Und mein Name ist Sonja Schäche. Wir beide arbeiten als Journalisten in der Pressestelle vom Bundesinstitut für Risikobewertung, kurz BfR. Wer das BfR bisher noch nicht kennt, ganz kurz: Das BfR ist ein unabhängiges Forschungsinstitut, das unter anderem die Bundesregierung bei Themen wie der Sicherheit von Chemikalien und Produkten, aber auch der Lebensmittelsicherheit berät.
00:01:21: Stefan Römermann: Und am BfR angesiedelt, wir haben es gerade schon gesagt, ist auch das Deutsche Zentrum zum Schutz von Versuchstieren. Und genau dort arbeitet auch unser heutiger Gast, Dr. Philipp Schwedhelm. Er ist Biologe und Neurowissenschaftler und betreut am BfR unter anderem die jährlichen Statistiken zum Thema Tierversuche in Deutschland. Lieber Herr Schwedhelm, hallo und herzlich willkommen bei "Risiko".
00:01:42: Philipp Schwedhelm: Hallo Herr Römermann, Frau Schäche, schön, dass ich hier sein darf.
00:01:45: Sonja Schäche: Hier im Risiko-Podcast versuchen wir grundsätzlich unsere Themen möglichst unaufgeregt und sachlich zu betrachten. Das wollen wir auch heute natürlich so handhaben, aber beim Thema Tierversuche ist es vermutlich nicht immer ganz so leicht.
00:02:00: Stefan Römermann: Denn Tierversuche, die sind tatsächlich für viele Menschen auch ein sehr emotionales Thema und das ist auch kein Wunder. Schließlich geht es ja um lebende Wesen, die bei Tierversuchen im Zweifelsfall leiden und oft eben auch getötet werden. Und viele der Tierarten, die für Tierversuche in Deutschland genutzt werden, die werden ja auch als Haustiere gehalten. Und da geht es den Besitzern vielleicht auch doppelt nah, wenn sie dann hören, dass für eine Tierstudie Mäuse, Ratten, Hunde oder Fische genutzt worden sind.
00:02:31: Sonja Schäche: Herr Schwedhelm, wir haben es vorhin kurz gesagt, Sie kümmern sich um die Statistiken zum Thema Tierversuche. Tierversuche. Sind das für Sie einfach nur Zahlen oder ist das ein Thema, das Ihnen manchmal auch persönlich nahe geht?
00:02:43: Philipp Schwedhelm: Nein, das sind natürlich nicht einfach nur Zahlen für mich. Das ist ein Thema, mit dem befasse ich mich schon sehr, sehr lange. Also ich habe ja auch in den Neurowissenschaften promoviert und da kommt man eben um die Tierversuche leider auch nicht drum herum. Es ist sicherlich ein Thema, das ist emotional aufgeladen. Das bespricht man auch ungern mit seinen Freunden. Und umso mehr freue ich mich, dass wir auch heute die Zeit gefunden haben, da mal vertieft drüber zu sprechen. Denn das ist selbstverständlich ein wichtiges Thema.
00:03:08: Stefan Römermann: Dann lassen Sie uns doch vielleicht zum Start nochmal ein paar etwas seltsame Abkürzungen erklären. Das Deutsche Zentrum zum Schutz von Versuchstieren, das hat als Abkürzung Bf3R. Da drin steckt - ganz klar - irgendwie die Abkürzung BfR für das Bundesinstitut für Risikobewertung. Da ist das Zentrum ja auch angesiedelt. Aber ich vermute, da steckt auch das sogenannte 3R-Prinzip drin, das beim Thema Tierversuche ja eine wichtige Rolle spielt. Was hat es mit diesem 3R-Prinzip auf sich, Herr Schwedhelm?
00:03:36: Philipp Schwedhelm: Ja, das 3R-Prinzip, das geht zurück auf die britischen Wissenschaftler Russell und Burch. Kommt aus dem Jahr 1959. Und das ist mittlerweile die Grundlage des Handelns in der biomedizinischen Forschung und auch weitestgehend im Gesetz verankert, auch auf EU-Level.
00:03:53: Stefan Römermann: Immer wenn es um Tierversuche geht.
00:03:54: Philipp Schwedhelm: Ja, ganz besonders bei Tierversuchen ist das ein wichtiges Thema. Die 3R, die stehen für die englischen Wörter reduce, replace und refine. Also wir haben zuerst einmal "reduce". Da geht es darum, die Anzahl der Tierversuche zu reduzieren. Also wenn Sie sich jetzt vorstellen, Sie möchten ein wissenschaftliches Experiment durchführen und dafür wird eine bestimmte Anzahl an Tierversuchen geplant mit einer bestimmten Anzahl an Tieren, dann möchte man diese Anzahl an Tieren so gering wie möglich halten. Dann hat man "replace", da geht es wirklich um den vollständigen Ersatz des Tierversuchs, also einen Tierversuch gar nicht erst durchzuführen, sondern komplett durch eine andere Methode zu ersetzen, die ohne Tiere auskommt. Und dann das 3R, das wird oft vergessen, ist das "refinement". Da geht es darum, dass wenn man schon Tierversuche macht, man die so durchführt, dass die möglichst wenig belastend für die Versuchstiere sind. Also sprich, man möchte die Bedingungen für die Versuchstiere möglichst gut gestalten.
00:04:48: Sonja Schäche: Bevor wir jetzt die nächsten 20 Minuten nur noch über Tierversuche und Alternativmethoden sprechen, möchten wir noch etwas ganz anderes fragen. Und zwar heißt unser Podcast ja Risiko. Und wir fragen alle unsere Gäste, wie sie es denn so ganz persönlich mit dem Risiko halten. Herr Schwedhelm, haben Sie vielleicht gefährliche Angewohnheiten oder Hobbys oder sind Sie eher vorsichtig und abwägend?
00:05:11: Philipp Schwedhelm: Also meine Frau würde wahrscheinlich sagen, ich bin eher ein risikosuchender Mensch und ich würde das eher verneinen. Ich halte es mit dem Risiko schon so, dass ich glaube, dass es einfach dazugehört, Risiken einzugehen, überall bei allen Sachen, die man im Leben macht. Es geht eben einfach nur darum, die Risiken vernünftig einzuschätzen und eben nicht zu viel Risiken einzugehen.
00:05:31: Sonja Schäche: Haben Sie jetzt auch ein bestimmtes Hobby, was vielleicht besonders risikoreich ist?
00:05:35: Philipp Schwedhelm: Ja, wie gesagt, das kommt mir immer auf den Blickwinkel drauf an. Also ich betreibe Paragliding jetzt seit 25 Jahren schon und das auch teilweise sogar im Wettbewerb. Da ist man dann viele Stunden in der Luft und hängt an Zahnseide, dünnen Seilen, an so einem Gleitschirm. Das kommt manchen Leuten sehr, sehr gefährlich vor. Ich persönlich fühle mich da aber total wohl, weil ich das einfach schon so lange mache und auch glaube, dass das sehr sicher ist.
00:05:58: Sonja Schäche: Und das ist dann wie Fliegen, oder?
00:06:00: Philipp Schwedhelm: Das ist, genau, das ist Fliegen. Man hüpft sozusagen von Wolke zu Wolke.
00:06:03: Stefan Römermann: Sie haben gerade gesagt, man ist da mehrere Stunden unterwegs?
00:06:06: Philipp Schwedhelm: Ja, genau so ist es. Die Ausprägung des Sportes, die ich betreibe, ist also das sogenannte Streckenfliegen. Da geht es darum, dass man so weit wie möglich fliegt. Und beim Gleitschirm ist das dann meistens, dass man teilweise hunderte Kilometer fliegt über viele, viele Stunden.
00:06:21: Stefan Römermann: Das sind jetzt aber nicht die Geräte, die ja noch einen Motor irgendwie im Hintergrund haben, oder hat man das auch?
00:06:25: Philipp Schwedhelm: Es gibt auch Motorschirme, aber ich fliege ohne Motor. Also das passt in einen Rucksack.
00:06:29: Stefan Römermann: Mit Aufwind und Abwind?
00:06:30: Philipp Schwedhelm: Genau. Also so funktioniert das. Man fliegt unter eine Wolke. Da geht es dann meistens nach oben. Das ist die sogenannte thermische Luft. Die steigt dann nach oben. Dann dreht man Kreise, bis man die Wolke dann sehen kann, spüren kann, schmecken kann. Und dann fliegt man zur nächsten Wolke. Und das macht man den ganzen Tag.
00:06:45: Sonja Schäche: Und wenn der Wind oder Auftrieb auf einmal weg ist, kann es auch sein, dass man in so ein Loch fällt oder vielleicht mal in einer Baumkrone hängt oder so?
00:06:50: Philipp Schwedhelm: Ja, aber meine Baumlandung möchte ich jetzt nicht reden.
00:06:53: [Lachen]
00:06:55: Philipp Schwedhelm: Das kann passieren.... [lacht]
00:06:57: Sonja Schäche: Okay.
00:06:58: [Musik]
00:07:06: Stefan Römermann: Zum Einstieg wollen wir jetzt erstmal ein wenig auf die aktuellen Zahlen zum Thema Tierversuche schauen. Die hat das BfR ja gerade veröffentlicht. Sie haben die vorbereitet. Wen es interessiert, den Link zu den genauen Zahlen, den finden Sie bei uns in den Shownotes. Herr Schwedhelm, wenn wir über Tierversuche reden, wie ist denn da eigentlich die Bandbreite? Wo fängt das an, bis wohin geht das? Ich kann mir vorstellen, Tierversuche fängt vermutlich mit ganz kleinen Dingen wie Fruchtfliegen oder sowas an.
00:07:31: Philipp Schwedhelm: Ja, Fruchtfliegen sind tatsächlich gerade nicht in der Statistik erfasst, weil da geht es jetzt nicht um Wirbeltiere oder Kopffüßer. Also wenn wir über Tierversuche reden, dann reden wir normalerweise über Wirbeltiere oder Kopffüßer.
00:07:43: Stefan Römermann: Kopffüßer?
00:07:44: Philipp Schwedhelm: Tintenfische zum Beispiel.
00:07:45: Stefan Römermann: Tintenfische, okay. Also Wirbeltiere und ich sag mal Meerestiere fallen in die Statistik rein. Was ist da die Bandbreite von Tieren, die da tatsächlich benutzt werden?
00:07:53: Philipp Schwedhelm: Wenn wir uns die deutsche Statistik angucken, jetzt das aktuellste Berichtsjahr 2024, dann sehen wir, dass das häufigst genutzte Versuchstier ist auf jeden Fall die Maus ist. Und zwar ist es tatsächlich sogar so, dass die allermeisten Mäuse, die für Tierversuche eingesetzt werden, genetisch veränderte Mäuse sind. Es gibt tatsächlich mehr genetisch veränderte Mäuse in der Versuchstiermeldung als normale, nicht veränderte Mäuse.
00:08:17: Stefan Römermann: Inwiefern sind die verändert? Was heißt das?
00:08:19: Philipp Schwedhelm: Das kann alles Mögliche sein. Also von irgendwelchen Fluoreszenzproteinen, die dann dafür sorgen, dass bestimmte Zellen zum Beispiel unter dem Mikroskop leuchten, bis hin zu ganz abgefahrenen Sachen.
00:08:30: Sonja Schäche: Und gibt es dann eine Erklärung für, warum hauptsächlich genetisch veränderte Mäuse? Ist das da so einfach umsetzbar bei den Mäusen?
00:08:36: Philipp Schwedhelm: Es geht immer darum, eben gerade jetzt auch im Sinne des 3R-Prinzips, möglichst wenig Tiere einzusetzen. Das heißt, möglichst zielgerichtete Experimente zu machen, um Fragestellungen dann auch zu beantworten. Und dann schafft man sich sozusagen eine Maus oder auch ein Zebrafisch, auch Zebrafische werden oft genetisch verändert, um dann eben genau diese Fragestellung auch zu adressieren.
00:08:56: Stefan Römermann: Also die Bandbreite: wir fangen an mit Mäusen, vermutlich auch Ratten, die vermutlich auch relativ häufig genutzt werden, Zebrafischen und solchen Tieren.
00:09:03: Philipp Schwedhelm: Ratten, haben Sie völlig recht, werden auch häufig eingesetzt. Gar nicht so häufig, wie man glaubt. Also da sind wir unter 10 Prozent. Das geht tatsächlich bergab. Am zweithäufigsten werden in der Tat Fische eingesetzt für Tierversuche. Und dann haben wir eben die Ratten, Kaninchen, Vögel und auch alle anderen möglichen Versuchstierspezies, die man sich so vorstellen kann. Also da ist wirklich alles dabei, von Reptilien über merkwürdige Tiere, natürlich auch landwirtschaftliche Nutztiere, also zum Beispiel Schafe, Kühe, Hühner. Aber eben auch die Tiere, die dann öfter mal diskutiert werden, auch in der Öffentlichkeit, also die Affen und eben auch die Hunde und Katzen.
00:09:44: Stefan Römermann: Wofür werden Hunde und Katzen benutzt bei Tierversuchen?
00:09:46: Philipp Schwedhelm: Das ist unterschiedlich. Also die meisten Hunde zum Beispiel werden tatsächlich für Schulungszwecke eingesetzt. Also wenn Sie sich jetzt überlegen, Sie müssen eine Ausbildung machen, meinetwegen zu einem Spürhund oder Hundeführer oder sowas und das ist wirklich in einem beruflichen Setting, dann kann das schon vorkommen, dass das schon als Tierversuch gilt. Das ist abhängig eben von der Art der Ausbildung, die da eben durchgeführt wird. Das sind ungefähr ein Drittel der Tiere, die da eingesetzt werden. Aber wir haben eben auch Regulatorik und Routineproduktion, auch ungefähr ein Drittel der Hunde. Dahinter steckt jetzt die Entwicklung von Medikamenten.
00:10:20: Stefan Römermann: Medikamente für Tiere speziell?
00:10:21: Philipp Schwedhelm: Nicht nur Medikamente für Tiere, auch Medikamente für Menschen. Das ist bei Hunden ungefähr 50-50. Ob es jetzt um die Medikamentenentwicklung für die Tiere selber geht oder eben auch für Sicherheitstests von Medikamenten, die dann für den Menschen vorgesehen sind.
00:10:35: Stefan Römermann: Wofür werden Katzen tatsächlich in Tierversuchen benutzt?
00:10:38: Philipp Schwedhelm: Ja, bei Katzen sieht das Bild ein bisschen anders aus als bei Hunden. Da wird mehr als die Hälfte der Tiere eben für regulatorische Zwecke eingesetzt und da geht es um die Entwicklung von Arzneimitteln für die Katzen selber oder eben auch für Studien zum Futter, was die Katzen dann fressen.
00:10:56: Stefan Römermann: Affen und Menschenaffen, die werden insgesamt vergleichsweise selten eingesetzt, wenn ich das richtig verstanden habe.
00:11:02: Philipp Schwedhelm: Bei Affen kommt es darauf an, über welche Arten von Affen wir jetzt reden. Es ist schon so, dass im Jahr 2024 noch etwas über 1000 Affen für Tierversuche eingesetzt wurden. Menschenaffen sind aber ganz besondere Affen und die hatten wir seit 1991 in Deutschland jetzt nicht mehr.
00:11:18: Stefan Römermann: Die werden einfach nicht mehr für Tierversuche eingesetzt?
00:11:21: Philipp Schwedhelm: So ist es. Grundsätzlich wäre das erlaubt, wenn jetzt ganz besondere Umstände auftreten, aber das ist eben seit 1991 nicht mehr passiert.
00:11:29: Stefan Römermann: Das ist also die Bandbreite von Tieren, die tatsächlich genutzt werden für Tierversuche. Wie sehen die Zahlen insgesamt aus? Gehen die eher nach oben, nach unten? Wie ist da die Entwicklung?
00:11:39: Philipp Schwedhelm: Im aktuellen Berichtsjahr 2024 hatten wir noch rund 1,3 Millionen Tierversuche in Deutschland. Das klingt jetzt erstmal sehr viel, sind auch eine ganze Menge Tierversuche, aber die gute Nachricht ist, diese Zahl sinkt und sie sinkt schon seit Jahren. Wir hatten also einen Hoch im Jahr 2019 und seitdem geht es, ich würde sogar sagen, steil bergab.
00:12:02: Stefan Römermann: Kann man sagen, in welchen Bereichen die Tierversuche besonders zurückgegangen sind?
00:12:06: Philipp Schwedhelm: Ja, natürlich. Wir gucken uns die Zahlen ganz genau an. Und wenn man jetzt sich zum Beispiel den Rückgang über die letzten zehn Jahre anschaut, dann fällt eben auf, dass zum Beispiel in der Regulatorik, also der Sicherheitsprüfung von neuen Substanzen, Medikamenten, Chemikalien und so weiter, die Zahlen stärker sinken als in anderen Bereichen.
00:12:25: Stefan Römermann: Die anderen Bereiche wären dann?
00:12:27: Philipp Schwedhelm: Die meisten Tierversuche finden tatsächlich in der Grundlagenforschung statt. Also das ist jetzt erstmal die Wissenschaft, die einfach unbekannte Fragestellungen klärt, ohne konkreten Anwendungszweck. Das sind mehr als die Hälfte der Tierversuche, die dort stattfinden. In dem Bereich gehen die Zahlen auch runter, allerdings erst seit wenigen Jahren. Und wir sind uns noch nicht sicher, ob dieser Trend wirklich auch anhalten wird.
00:12:48: Sonja Schäche: In dem Bereich ist es wahrscheinlich auch noch schwieriger, die Tierversuche zu ersetzen, könnte ich mir vorstellen. In der Grundlagenforschung ist man ja noch so im Dunkeln teilweise und hat jetzt nicht dieses Prinzip, wirkt es oder wirkt es nicht.
00:12:59: Philipp Schwedhelm: Ja klar, im Bereich der regulatorischen Verwendung sprechen wir über weitestgehend standardisierte Tierversuche. Also die sind teilweise sogar gesetzlich vorgeschrieben nach einem ganz bestimmten Muster. Dann ist das ein Tierversuch, der läuft eben nach einem ganz bestimmten Schema ab. Und den kann man natürlich viel leichter ersetzen als ein Tierversuch in der Grundlagenforschung, wo es wirklich um eine komplett unbekannte Fragestellung geht. Und diese Fragestellung dann eben auch möglicherweise mit einer ganz neuen Methode adressiert wird.
00:13:27: Stefan Römermann: Eine Sache, die auch, glaube ich, zurückgegangen ist, ist der Einsatz von den sogenannten überzähligen Versuchstieren. Vielleicht können Sie da nochmal kurz erklären, was sind überzählige Versuchstiere und wie haben sich die jetzt tatsächlich entwickelt?
00:13:39: Philipp Schwedhelm: Da muss ich jetzt ein bisschen ausholen. Überzählige Versuchstiere, das klingt jetzt erstmal merkwürdig. Wir nennen die auch meistens die nicht verwendeten und getöteten Tiere. Wir haben ja schon über die genetisch veränderten Tiere gesprochen. Wenn die jetzt gezüchtet werden, dann entstehen regelmäßig eben auch Geschwistertiere, die zwar genetisch verändert sind, aber nicht genau so, wie man das für das Experiment eben haben möchte. Das hat einfach was mit den mendelndischen Regeln zu tun. Und es lässt sich auch nicht komplett vermeiden, dass diese Tiere entstehen. Jetzt sind die aber geboren worden und es handelt sich da um Versuchstiere. Und die werden in vielen Fällen tatsächlich ohne weitere Verwendung dann getötet.
00:14:19: Stefan Römermann: Aber da gehen auch die Zahlen inzwischen deutlich zurück, hatte ich so verstanden, ja?
00:14:23: Philipp Schwedhelm: Ja, und zwar sehr deutlich. Wir hatten im Jahr 2017 einmal eine Schätzung über die Anzahl dieser Tiere und das war wirklich eine sehr große Zahl. Da ging es also um fast vier Millionen Tiere, die ohne Verwendung getötet wurden. Es war zwar eine Schätzung, aber seit 2021 erheben wir diese Zahl am BF3R eben auch systematisch im Rahmen der Versuchstiermeldung und wir sehen, dass diese Zahlen wirklich dramatisch sich reduzieren. Also noch 2021 hatten wir über 2,5 Millionen solcher getöteten Tiere. Mittlerweile im Jahr 2024 sind wir bei rund 1,1 Millionen. Also Sie sehen schon, das ist weniger als die Hälfte dessen, was wir eben noch im ersten Berichtsjahr 2021 hatten.
00:15:07: Stefan Römermann: Transparenz schafft da dann auch im Zweifel zwar ein bisschen öffentlichen Druck und Rechtfertigungsdruck oder was vermuten Sie da?
00:15:12: Philipp Schwedhelm: Wir wissen es nicht genau, aber es ist natürlich so, dass wir seit dem Berichtsjahr 2021 darüber sprechen, dass es diese Tiere gibt und dass die Zahl auch sehr hoch ist und dementsprechend könnte es natürlich sein, dass das auch ein Antrieb dafür war, dass ein Umdenken stattgefunden hat. Zum Beispiel bei der Zuchtplanung, die in Deutschland durchgeführt wird und dass einfach durch so eine verbesserte Zuchtplanung jetzt auch die Zahlen runtergehen.
00:15:37: [Musik]
00:15:46: Stefan Römermann: Ein Bereich, den Sie jetzt überhaupt nicht genannt haben beim Thema Tierversuche, ist der Bereichn Kosmetik. Da gibt es, glaube ich, inzwischen Regeln dafür.
00:15:53: Philipp Schwedhelm: Ja, und zwar schon sehr lange. Tierversuche für die Entwicklung von kosmetischen Stoffen sind in Deutschland schon seit Ende der 90er Jahre komplett verboten. Also 1998, um genau zu sein, seit 2003. Dann auch EU-weit. Seit 2009 dann auch für Bestandteile kosmetischer Mittel und spätestens jetzt ab 2013 dann auch weitestgehend ohne Ausnahmen.
00:16:15: Sonja Schäche: Ich denke, viele Menschen denken, wenn sie an Kosmetik denken, auch an Tierversuche. Ich glaube, das ist nicht jedem klar, dass es in dem Bereich gar keine Tierversuche mehr gibt, dass die gar nicht mehr zugelassen sind. Ja, und da wären wir auch schon bei den Mythen, die sich so um Tierversuche ranken. Eine andere Geschichte, die man immer wieder hört, ist, dass Katzen und Hunde für Tierversuche von der Straße eingefangen werden. Und Haustierbesitzer haben Angst um ihre Tiere. Was ist da dran? Passiert so etwas wirklich in der Realität?
00:16:43: Philipp Schwedhelm: Nein, also auch da gibt es ein Verbot für die Verwendung von diesen wildgefangenen Tieren oder verwilderten Haustieren, die dann möglicherweise von der Straße gefangen werden würden. Man muss natürlich dazu sagen, dass es auch hier Ausnahmen gibt. Also wenn ganz besondere Umstände eintreten, zum Beispiel irgendeine Seuche ausbrechen würde unter verwilderten Haustieren in Deutschland, dann wäre da auch eine Untersuchung möglich. Aber das ist eben auch etwas, das passiert nicht.
00:17:11: Stefan Römermann: Würde das überhaupt Sinn machen, für ganz normale Forschung im größeren Stil Tiere irgendwie von der Straße zu fangen?
00:17:18: Philipp Schwedhelm: Überhaupt nicht. Also wir wollen in der Forschung ja standardisierte Bedingungen haben und das gilt natürlich dann auch für die Versuchstiere, die verwendet werden. Also die kommen in den allermeisten Fällen wirklich aus auch hygienisch einwandfreien Zuchten und haben ganz bestimmte genetische Eigenschaften dann eben auch. Also auch die nicht veränderten Tiere, damit die Versuche auch vergleichbar sind.
00:17:40: Sonja Schäche: Können Sie vielleicht mal was sagen zum Ablauf und zur Organisation von Tierversuchen? Wie aufwendig ist das eigentlich?
00:17:46: Philipp Schwedhelm: Ja, also wenn Sie einen Tierversuch durchführen wollen in Deutschland, dann ist das wirklich eine sehr aufwendige Angelegenheit. Erstmal müssten Sie überhaupt mal an einer Organisation oder einer Einrichtung tätig sein, die die Rahmenbedingungen mitbringt für solche Tierversuche. Also wir brauchen erstmal einen zugelassenen Betrieb oder eine Einrichtung, wie zum Beispiel eine Universität oder sowas. Die wird von einer zuständigen Behörde erstmal geprüft und muss diese ganzen Rahmenbedingungen haben. Das heißt, die Tiere müssen ordentlich untergebracht werden. Es muss eine Tierschutzbeauftragte dort sein, die die Versuche im Zweifelsfall auch überwacht. Die medizinische Versorgung der Tiere muss gesichert sein. Es muss auch genügend Personal vorgehalten werden und dann gibt es ganz bestimmte Sachkundeanforderungen für dieses Personal. Also Sie sehen schon, da braucht man eine größere Einrichtung, die überhaupt erstmal diese ganzen Rahmenbedingungen mitbringt, damit diese Versuche überhaupt tierschutzgerecht auch durchgeführt werden können.
00:18:44: Sonja Schäche: Ja, das klingt schon sehr aufwendig. Aber wie gehe ich genau vor? Was muss ich jetzt tatsächlich machen, wenn ich einen Tierversuch durchführen muss? Muss ich da Anträge einreichen und wer prüft das?
00:18:52: Philipp Schwedhelm: Ja, niemand darf in Deutschland einen Tierversuch ohne Genehmigung durchführen. Man braucht also, wenn man den Versuch dann durchgeplant hat, erstmal einen Antrag und den muss man zu der zuständigen Genehmigungsbehörde schicken. Grundsätzlich läuft das so, dass in diesem Antrag dann aufgeführt werden muss, welche wissenschaftliche Begründung denn für diesen Tierversuch besteht. Also man muss wirklich detailliert und auch wissenschaftlich begründet darlegen, warum dieser Tierversuch unerlässlich ist und man unbedingt ein Tier für diese Fragestellung jetzt verwenden muss.
00:19:23: Stefan Römermann: Kann man also nicht einfach mal so machen?
00:19:25: Philipp Schwedhelm: Überhaupt nicht. Das ist ein sehr umfangreicher Antrag und man muss dann eben auch detailliert darlegen, wie die 3R, die wir ja schon besprochen haben, eingehalten werden. Also wie man auf all die ethischen Grundsätze Rücksicht nimmt, die für die Verwendung von Versuchstieren in Deutschland und der Europäischen Union eben gelten.
00:19:41: Stefan Römermann: Unter den Forschern gibt es bestimmt auch Leute, denen diese Tierschutzregeln vielleicht nicht ganz so persönlich wichtig sind, sage ich jetzt mal, sehr diplomatisch. Wie wird sichergestellt, dass trotzdem diese Regeln eingehalten werden?
00:19:54: Philipp Schwedhelm: Ja, also die Forscherinnen und Forscher, die müssen sich natürlich an ihre Genehmigungen halten. Da steht sehr detailliert drin, was sie dürfen und was sie nicht dürfen. Und diese Sachen werden auch kontrolliert.
00:20:06: Philipp Schwedhelm: Auf der einen Seite von den Überwachungsbehörden, die dann teils auch unangemeldet in die Einrichtung kommen und schauen, ob alles mit rechten Dingen zugeht. Und teils gibt es eben auch innerbetriebliche Kontrollen, zum Beispiel durch die Tierschutzbeauftragten, die dann eben solche Missstände aufdecken würden. Und sie müssen sich vorstellen: Wenn da jetzt etwas passieren sollte oder irgendetwas bekannt wird, dann ist das möglicherweise auch eine Gefahr für die gesamte Einrichtung. Also möglicherweise für die gesamte Universität, an dem so ein Tierversuch stattfindet. Deswegen wird da meiner Kenntnis nach schon sehr darauf geachtet, dass solche Tierversuche in Deutschland wirklich regelkonform ablaufen.
00:20:42: Stefan Römermann: Könnte man überhaupt Studien veröffentlichen, die auf - ich sag mal - illegal durchgeführten Tierversuchen in Deutschland basieren?
00:20:50: Philipp Schwedhelm: Das würde auf jeden Fall auffallen. Man muss bei Publikationen der Daten eigentlich immer angeben, unter welcher Genehmigung die Tierversuche durchgeführt wurden und im Zweifelsfall auch welches Ethik-Komitee das abgesegnet hat.
00:21:03: Stefan Römermann: Vielleicht sollten wir es der Vollständigkeit halber hier nochmal erwähnen. Für die Arbeit des BfR spielen natürlich auch die Ergebnisse aus Tierversuchen immer wieder eine ganz wichtige Rolle für die ganz alltägliche Arbeit. In den allermeisten Fällen greifen wir da auf externe Studien zurück, die an Universitäten, an Hochschulen, aber auch von Firmen durchgeführt worden sind. In gewissem Maß machen wir natürlich auch selber Forschung am BfR und teilweise eben auch selber Tierversuche. In welchem Ausmaß passiert das und worum geht es dabei?
00:21:32: Philipp Schwedhelm: Also wir haben im letzten Jahr, im Jahr 2024, acht Tiere verzeichnet, die eben in Tierversuchen verwendet wurden. Das waren vier Schweine und vier Rinder. Und da ging es eben um Fragen zur Sicherheit von Lebens- und Futtermitteln, also den Kernkompetenzen des BfR. Dann gab es noch weitere Tiere, die wurden nicht in Tierversuchen eingesetzt, aber trotzdem waren das Versuchstiere, die wurden für wissenschaftliche Zwecke verwendet. Und zwar deren Organe und Gewebe wurden für wissenschaftliche Zwecke verwendet. Das waren 15 Mäuse, die wurden für die Entwicklung von Ersatzmethoden dann eingesetzt, also deren Organe und Gewebe wurden eingesetzt und 77 Hühner. Und zusätzlich hatten wir dann noch rund 250 Zebrafische, die getötet wurden, weil sie zu alt geworden sind.
00:22:22: [Musik]
00:22:27: Stefan Römermann: Wir haben es ja eben schon gehört - Tierversuche sind in der Organisation ganz schön aufwendig. Und allein deshalb wird schon seit Jahren an Alternativmethoden geforscht. Da ist dann oft die Rede von NAMs, kurz für "New Approach Methodologies", übersetzt heißt das etwa "Methoden mit einem neuen Ansatz". Was hat es damit auf sich, Herr Schwedhelm?
00:22:50: Philipp Schwedhelm: Da geht es darum, dass man für eine bestimmte Forschungsfrage eben eine bessere Methode findet als die bisher etablierte Methode. Und das ist in vielen Fällen dann der Tierversuch.
00:23:02: Stefan Römermann: Was für eine Bandbreite gibt es da? Also von was für Methoden reden wir da, die statt Tierversuchen dann eingesetzt werden?
00:23:09: Philipp Schwedhelm: Ja, meistens wird NAMs, die New Approach Methodologies, das wird im Kontext der Regulation benutzt.
00:23:16: Stefan Römermann: Also bei gesetzlich vorgeschriebenen Prüfungen von Chemikalien, von Medikamenten und sowas alles?
00:23:21: Philipp Schwedhelm: Ganz genau. Wenn es darum geht, eben zum Beispiel eine unbekannte Substanz zu charakterisieren auf ihre Giftigkeit oder Reizung oder sowas, ja.
00:23:29: Stefan Römermann: Und was für Methoden können da dann helfen?
00:23:32: Philipp Schwedhelm: Da kann man neue Methoden nutzen, das sind dann meistens komplexe Testsysteme, wie zum Beispiel Organoide, Zellkulturen, Zellverbände oder Mini-Organe oder sowas.
00:23:42: Stefan Römermann: Okay, das müssen wir jetzt ein bisschen auseinanderfusseln. Organoide, das Wort habe ich noch nie gehört. Was ist das?
00:23:48: Philipp Schwedhelm: Ja, da müssen Sie sich so kleine, selbstorganisierte Mikrogewebe darunter vorstellen oder eben auch so Miniaturmodelle.
00:23:56: Stefan Römermann: künstlich hergestellte Organe, kleine... in Miniform.
00:23:59: Philipp Schwedhelm: Ja, die in der Petrischale sozusagen wachsen, wenn man sich das so vereinfacht vorstellt. Also da geht es eben um Stammzellen, die gewonnen werden von Tieren oder eben auch von Menschen. Ja, auch menschliche Stammzellen werden ganz häufig genutzt und die wachsen dann zu so Mini-Organen.
00:24:13: Stefan Römermann: Zellkulturen hatten Sie eben auch gesagt, das ist auch Petrischale. Das sind auch Dinge, die dann tatsächlich wirklich im Labor passieren, wo mit Zellen gearbeitet wird. Computermodelle, was wird da gemacht?
00:24:23: Philipp Schwedhelm: Ja, da kann man zum Beispiel, wenn man sich Pharmakodynamik überlegt, also wie ein Stoff im Körper umgesetzt wird, dann kann man sowas häufig mathematisch beschreiben und eben dann auch berechnen. Vereinfacht gesagt versucht man, den Organismus in ein mathematisches Modell zu bekommen, indem man zum Beispiel die Organe mathematisch beschreibt, also den Körper kompartimentiert und das Ganze dann in einem Modell einfach berechnet im Computer.
00:24:51: Stefan Römermann: Da fließen dann vermutlich die Ergebnisse aus vielen, vielen Untersuchungen, die man vorher schon hatte, ein und dann kann man es tatsächlich am Computer simulieren.
00:24:58: Philipp Schwedhelm: Genau, das ist das Ziel, dass man alles, was man bisher weiß, zusammenbringt und dann eine möglichst zutreffende Vorhersage eben bringt.
00:25:06: Stefan Römermann: Tierversuche sind extrem kompliziert. Computermodelle, stelle ich mir vor, die bringen dann tatsächlich auch Vorteile, wenn ich die im großen Stil einsetze. Was ist da im Zweifelsfall spannend dran, die stattdessen zu benutzen?
00:25:18: Philipp Schwedhelm: Ja, Sie können sich vorstellen, dass Sie bei einem Computermodell ja ohne viel Aufwand auch Variablen ändern können. Das heißt, Sie können den Organismus, den virtuellen Organismus skalieren. Sie können auch in ganz kurzer Zeit ganz viele unterschiedliche Substanzen zum Beispiel testen. Also der Durchsatz ist einfach wesentlich höher.
00:25:37: Stefan Römermann: Man kann einfach viel schneller arbeiten, viel größerem Stil.
00:25:40: Philipp Schwedhelm: Genau.
00:25:40: Stefan Römermann: Das klingt tatsächlich nach einer spannenden Alternative, kann aber nicht alles ersetzen.
00:25:45: Philipp Schwedhelm: Nein, und basiert natürlich auch auf den Erkenntnissen, die wir schon haben. Das heißt, das Generieren von neuem Wissen mit Computermodellen ist da in gewisser Weise auch begrenzt. Man braucht dann am Ende immer noch die konfirmatorische Studie. Also man muss überprüfen, ob das Ergebnis des Computers auch wirklich zutrifft.
00:26:00: Stefan Römermann: Also insgesamt kann man schon sagen, diese Alternativmethoden sind nicht, ich sag mal, ein schlechter Ersatz für Tierversuche. Sie bieten an vielen Punkten auch Vorteile, lassen sich vielleicht auch besser kontrollieren. Ich könnte mir vorstellen, das ist auch für viele Wissenschaftler ganz praktisch, weil wenn man mit Tieren arbeitet, da können ja auch Dinge schief gehen, kann ich mir vorstellen, oder?
00:26:19: Philipp Schwedhelm: Ja klar, so eine Ersatzmethode, das kann man sich immer als Vereinfachung eines komplexen Modells vorstellen. Und das komplexe Modell wäre jetzt hier in diesem Fall das Tier. Also das Tier ist als Organismus natürlich schwer vorhersagbar und auch sehr variabel. Das eine Tier gleicht nicht immer einem anderen Tier. Und dieses Problem kann man eben damit angehen, dass man die Methoden vereinzelt eben zum Beispiel mit einer Zellkultur arbeitet, die dann vorhersagbare Ergebnisse liefert, weil sie einfach standardisiert ist.
00:26:49: Stefan Römermann: Auf der anderen Seite werden Tierversuche häufig momentan noch vorgeschrieben. Sie hatten diese regulatorischen Dinge angesprochen, also beispielsweise bei Medikamentenprüfungen und bei bestimmten Chemikalien müssen solche Tests gemacht werden. Was muss denn passieren, damit die Ersatzmethoden, ich sag mal im größeren Stil, auch tatsächlich Tierversuche zukünftig ersetzen können?
00:27:11: Philipp Schwedhelm: Ja, das ist leider ein sehr komplizierter und vor allem sehr langwieriger Prozess der Validierung. In der Regel ist es ja so, dass wenn Sie sich jetzt zum Beispiel neue Substanzen angucken, da also auch so OECD-Richtlinien.
00:27:25: Stefan Römermann: Das ist die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und die stellt so ein bisschen Regeln auf für Testverfahren von Chemikalien und alles Mögliche.
00:27:34: Philipp Schwedhelm: Genau, und damit eben die gegenseitige Anerkennung der Ergebnisse auch gewährleistet ist, also sprich, damit Sie auch ein neu entwickeltes Medikament zum Beispiel auf einem anderen Markt als in Deutschland auch dann nutzen können, braucht es diese gegenseitige Anerkennung. Und das geht eben über die Validierung von so einer Methode.
00:27:51: Stefan Römermann: Das zieht sich also hin, bis diese Alternativmethoden anerkannt sind, damit man auch weiß, die liefern auch tatsächlich Ergebnisse, die wirklich vergleichbar gut sind mit den Ergebnissen, die wir bisher aus den Tierversuchen hatten. Wie stehen denn die Chancen, dass auf lange Sicht tatsächlich Tierversuche komplett durch neue Methoden ersetzt werden?
00:28:09: Philipp Schwedhelm: Ja, also wenn Sie sich jetzt nur den Bereich der Regulatorik anschauen, also die gesetzlich vorgeschriebenen Tierversuche, dann gibt es da schon eine gewisse Chance. Es ist bestimmt eine sehr langfristige Entwicklung. Weil wir brauchen jetzt hier auch die Anerkennung aller Staaten. Und sowas dauert. In anderen Bereichen, jetzt zum Beispiel der Grundlagenforschung, wird es eher schwer.
00:28:30: Stefan Römermann: Warum ist das bei der Grundlagenforschung so schwierig?
00:28:33: Philipp Schwedhelm: Es gibt einfach Fragestellungen, bei denen werden Sie auch langfristig noch den kompletten Organismus brauchen, um dann auch in einer bestimmten Frage eben auf den Grund zu gehen. Und da kann man mit einer Vereinfachung leider nicht ans Ziel kommen, zumindest aus meiner Sicht nicht. Also da werden Sie zum Beispiel an Fragestellungen denken, wie zum Beispiel das Gehirn funktioniert. Da brauchen Sie letztendlich ein funktionierendes Gehirn. Und das gibt es nur in einem kompletten funktionierenden Organismus.
00:29:08: Sonja Schäche: Und damit geht unsere Risiko-Folge zum Thema Tierversuche langsam dem Ende zu. Herr Schwedhelm, wenn Sie nochmal kurz die Kerngedanken, die wir heute besprochen haben, zusammenfassen könnten: Wie steht es aktuell um Tierversuche in Deutschland? Und wo wird die Entwicklung aus Ihrer Sicht langfristig hingehen?
00:29:25: Philipp Schwedhelm: Ja, also zunächst einmal die gute Nachricht, die Tierversuchszahlen in Deutschland sinken und zwar seit vielen Jahren schon und das in so ziemlich allen Bereichen, die wir statistisch erfassen können. Dieser Rückgang ist auch deutlich, insbesondere auch bei der Zucht von genetisch veränderten Tieren sehr deutlich. Trotzdem sehen wir am Bf3R aktuell keinen Anlass zur Beunruhigung, dass zum Beispiel die Forschung in Deutschland damit in Gefahr geraten würde, dass die Zahlen so stark sinken. Also sprich, Deutschland ist immer noch ein sehr forschungsstarker Standort in Europa. Wenn wir uns die Frage allerdings anschauen, wie es weitergehen wird, dann ist natürlich der Blick in die Zukunft immer sehr schwierig. Ich würde jetzt davon ausgehen, dass die Zahlen auch weiter sinken, aber wir haben ja bereits besprochen, es gibt da durchaus Bereiche, da bin ich mir nicht sicher, ob langfristig der komplette Verzicht auf Tierversuche überhaupt möglich ist. Das heißt, ich glaube nicht, dass wir in der Zukunft wirklich einen kompletten Ausstieg aus den Tierversuchen sehen werden. Aber es gibt durchaus auch Bereiche, wie zum Beispiel die Regulatorik, da ist das langfristig vorstellbar.
00:30:31: [Musik]
00:30:33: Stefan Römermann: Und das war unsere Risikofolge für heute. Bei uns im Podcaststudio war Dr. Philipp Schwedhelm vom Deutschen Zentrum zum Schutz von Versuchstieren hier bei uns am BfR. Lieber Herr Schwedhelm, vielen Dank für das interessante Gespräch.
00:30:46: Philipp Schwedhelm: Danke, Herr Römermann, danke, Frau Schäche, dass ich hier sein durfte. Hat mir Spaß gemacht.
00:30:50: Stefan Römermann: Und nochmal der Hinweis, wenn Sie die genauen Zahlen sich nochmal ein bisschen anschauen wollen, in den Shownotes finden Sie den Link zu den aktuellen Zahlen und auch noch ein paar weitere Informationen zu Tierversuchen.
00:31:03: Sonja Schäche: Und wenn Ihnen der Podcast gefallen hat, dann abonnieren Sie doch am besten gleich unseren Kanal. "Risiko" gibt es so ziemlich überall, wo es Podcasts gibt. Und natürlich auch auf der Webseite vom BfR zum Nachhören.
00:31:14: Stefan Römermann: Wenn Sie mögen, schicken Sie uns gerne eine E-Mail mit Lob, mit Kritik oder auch mit Anregungen für Podcast-Themen. Unsere E-Mail-Adresse lautet: podcast@bfr.bund.de ... Und das war es nun wirklich für heute. Hier am Mikrofon verabschieden sich Sonja Schäche und Stefan Römermann.
00:31:31: Sonja Schäche: Und die sagen Danke fürs Zuhören und Tschüss.
00:31:34: [Musik]