Mikroplastik: Kleine Partikel – großes Risiko? (003)
Shownotes
Mikroplastik ist inzwischen fast überall zu finden: In der Atemluft, in Lebensmitteln und in uns Menschen. Doch woher kommen die Mikroplastik-Partikel überhaupt? Was passiert, wenn wir sie einatmen oder über die Nahrung unfreiwillig mitessen? Ist Mikroplastik tatsächlich ein gesundheitliches Risiko für uns Menschen? Und essen wir wirklich eine „Kreditkarte“ Mikroplastik pro Woche?
Gast: Dr. Holger Sieg, Leiter BfR-Arbeitsgruppe „Mikroplastik“
Moderation: Sonja Schäche und Stefan Römermann
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00:00:00: Sonja Schäche: Die Schlagzeilen klingen bedrohlich: "Mikroplastik, Gefahr für Mensch und Umwelt." "So klein, so gefährlich." "Die unsichtbare Gefahr."
00:00:22: Stefan Römermann: Tja, und dann steckt dieses Mikroplastik anscheinend auch noch gefühlt wirklich überall: In Flüssen, in Bächen, selbst in den entlegensten Regionen, in der Antarktis wurde Mikroplastik gefunden. Und sogar in menschlichen Organen werden in Studien immer häufiger Mikroplastikpartikel nachgewiesen.
00:00:40: Schäche: Das alles macht einigen Menschen verständlicherweise Angst. Ob diese Angst aber wirklich begründet ist oder ob wir die Aufregung um Mikroplastik etwas herunterschrauben können, darum soll es heute bei uns gehen.
00:00:54: Römermann: Und damit Hallo und herzlich willkommen zu "Risiko", dem BfR-Podcast. Mein Name ist Stefan Römermann.
00:01:00: Schäche: Und mein Name ist Sonja Schäche. Wir beide arbeiten als Redakteure in der Pressestelle vom Bundesinstitut für Risikobewertung in Berlin.
00:01:09: Römermann: Falls Sie unser Institut bisher noch nicht kennen, überhaupt kein Problem. Das Bundesinstitut für Risikobewertung ist ein unabhängiges Forschungsinstitut. Wir beraten beispielsweise die Bundesregierung bei Gesetzgebungsprozessen und inhaltlich beschäftigen wir uns beispielsweise mit Fragen wie Lebensmittelsicherheit, der Sicherheit von Chemikalien und Produkten, aber auch mit der Frage, ob von Mikroplastikpartikeln für uns Menschen gesundheitliche Risiken ausgehen.
00:01:33: Schäche: Und genau das soll im Zentrum unserer heutigen Podcast-Folge stehen. Wir wollen wissen, was Mikroplastik eigentlich genau ist, wo es herkommt, wie es in unseren Körper gelangt und ob Mikroplastik überhaupt gesundheitliche Probleme verursachen kann. Außerdem wollen wir einer Aussage auf die Spur gehen, die seit einiger Zeit durch die Medien geistert und zwar, dass jeder von uns pro Woche so viel Mikroplastik isst und einatmet, wie in einer Kreditkarte steckt.
00:02:05: Römermann: Ob das so wirklich stimmt mit der Kreditkarte und was wir sonst noch so wissen sollten zum Thema Mikroplastik, das erklärt uns hoffentlich unser heutiger Experte, Dr. Holger Sieg. Dr. Holger Sieg ist Biochemiker und er leitet die Arbeitsgruppe Mikroplastik bei uns am BfR.
00:02:19: Schäche: Lieber Herr Sieg, hallo und herzlich willkommen zu unserem Risiko-Podcast.
00:02:24: Holger Sieg: Guten Morgen.
00:02:25: Römermann: Herr Sieg, ich habe es gerade schon gesagt, Sie sind Biochemiker. Wie sind Sie dann zum ersten Mal als Biochemiker in Kontakt gekommen mit dem Thema Mikroplastik?
00:02:33: Sieg: Ich habe an der Freien Universität Berlin Biochemie studiert und bin danach zur Promotion an das Bundesinstitut für Risikobewertung gewechselt. Dort hatte ich mich zunächst noch nicht mit Mikroplastik beschäftigt, aber durchaus schon mit sehr kleinen und kleinsten Partikeln, nämlich mit Nanopartikeln. Und ich bin nach der Promotion am BfR geblieben und habe auf diesem Feld weitergearbeitet und da kam dann auch zum ersten Mal in den Medien und auch in der Öffentlichkeit das Thema Mikroplastik auf. Es wurden mehr und mehr Studien veröffentlicht, dass Mikroplastik in Lebensmitteln aber auch in Produkten gefunden wurde und dann hat das BfR gesagt, okay: Mit diesem Thema müssen wir uns auf jeden Fall auch beschäftigen.
00:03:09: Römermann: Und da waren Sie dann mit am Start bei dem Thema.
00:03:12: Sieg: Genau.
00:03:13: Schäche: Bevor wir jetzt aber gleich so richtig loslegen, dann würden wir noch gerne noch mal eine ganz andere Frage stellen. Und zwar heißt unser Podcast ja "Risiko". Deshalb stellen wir unseren Gästen regelmäßig die Frage, wie sie ist denn selbst im Alltag mit dem Risiko so halten. Herr Sieg, haben Sie eher riskante Hobbys oder Angewohnheiten oder gehen Sie im Alltag lieber so auf Nummer sicher?
00:03:38: Sieg: Ich bin jetzt, würde ich sagen, kein besonders ängstlicher Mensch, aber auch niemand, der jetzt das Risiko aktiv suchen würde. Also ich habe jetzt keinen Extremsport als Hobby, ich mache keinen Höhlentauchen oder Fallschirmspringen.
00:03:49: Römermann: Bungee Jumping auch noch nie gemacht.
00:03:50: Sieg: Nein, auch nicht. Ich glaube auch nicht, dass ich das machen werde. Man muss auch nicht alles tun im Leben. Aber ich lebe in einer großen Stadt. Ich denke, ich gehe ziemlich viele Alltagsrisiken jeden Tag ein. Ich laufe über die Straße, ich fahre Bus und Bahn und da ist man natürlich auch Risiken ausgesetzt. Und es ist ja so, dass man von der Wahrnehmung her bestimmte Sachen besonders gefährlich einschätzt, die es vielleicht gar nicht sind und andere Dinge übersieht man.
00:04:12: Römermann: Also das riskanteste, was Sie so tun, ist, morgens auf die Straße zu gehen?
00:04:16: Sieg: Es ist tatsächlich so, dass bestimmte Risiken vom Menschen unterschätzt werden und ich denke, der Alltag gehört da sehr, sehr doll mit dazu. Und ja, vielleicht ist es ja auch so ein bisschen unsere Aufgabe dafür, ein Bewusstsein zu schaffen, welche Tätigkeiten sind eigentlich riskant und wo hat man vielleicht ein mögliches Risiko gar nicht so in der Wahrnehmung drin?
00:04:36: Schäche: Gerade so Unfälle im Straßenverkehr sind ja auch eine Quelle für ein großes Risiko.
00:04:41: Sieg: Auf jeden Fall.
00:04:42: Römermann: Zum Einstieg, lassen Sie uns nochmal ganz kurz klären, worüber wir hier eigentlich tatsächlich genau reden. Also, was ist Mikroplastik? Können Sie das ein ganz kleines bisschen erklären? Ja, also Mikroplastik ist zunächst einmal ein Sammelbegriff für Partikel der verschiedensten Kunststoffmaterialien in einem Größenbereich, der so von fünf Millimetern geht bis zu einem Mikrometer.
00:05:11: Römermann: Okay, fünf Millimeter kann ich mir vorstellen, das ist halber Zentimeter. Aber die Mikrometer, da wird es schwierig. Was für eine Größenordnung ist das?
00:05:21: Sieg: Ja, da werden ja gerne mal so Vergleiche mit einem menschlichen Haar oder ähnliches gebracht, aber ich denke, die wenigsten können sich vorstellen, wirklich wie dick ist ein menschliches Haar eigentlich. Deswegen vielleicht ein anderer Vergleich. Ein Mikrometer ist ein millionstel Meter. Und wenn man das jetzt auf die Größe von Berlin rechnet mit 42 Kilometern Breite, dann ist das ungefähr so wie die Größe eines Golfballs auf die Breite von Berlin gerechnet.
00:05:42: Römermann: Also ein Mikroplastikpartikel wäre auf die Größe von Gesamtberlin...
00:05:46: Sieg: .... ungefähr so groß wie ein Golfball, genau. Und wenn man jetzt den Nano-Bereich anguckt, also der geht so von einem Nanometer bis 100 Nanometer, ist nochmal ungefähr zehnfach bis tausendfach kleiner. Also da sind wir schon bei Partikeln, die im Vergleich zur Größe Berlins kleiner wären als ein kleiner Stecknadelkopf.
00:06:01: Römermann: Okay, jetzt haben Sie den Begriff Nano schon gesagt. Sind Nano-Partikel auch Mikroplastikpartikel oder grenzt man das komplett voneinander ab?
00:06:10: Sieg: Also die Wissenschaft betrachtet es tatsächlich extra. Das ist aber auch eher historisch gewachsen, weil einfach die Nano-Partikel noch viel viel kleiner sind, viel viel schwerer zu untersuchen sind. Und man sagt, man befasst sich erstmal mit den Partikeln, die man sehen und messen kann, also den Mikropartikeln. Aber natürlich kann man das nicht getrennt voneinander betrachten. Also Mikropartikel und Nano-Partikel kommen zusammen vor. Es ist aber natürlich von der Erforschung dieser Partikel her ein sehr großer Unterschied, ob ich mich nur mit den Mikropartikeln beschäftige oder auch mit den ganz kleinen Nano-Partikeln.
00:06:38: Römermann: Auf der anderen Seite des Spektrums größer als das Mikroplastik ist dann das Makroplastik, habe ich gelernt. Also das ist dann einfach alles, was wir, ich sag mal, an Tüten und was weiß ich, Plastikregalen oder was auch immer haben?
00:06:51: Sieg: Genau, also das ist vor allem ein Begriff aus der Umweltwissenschaft und jeder hat diese Bilder vor Augen, die Strände oder das Meer oder auch Flüsse, wo der ganze Plastikmüll darin schwimmt und das können Flaschendeckel sein, aber auch noch größere Objekte. Und genau da ist es eben wichtig zu schauen: Worüber spreche ich eigentlich? Spreche ich jetzt über die Gefahren, die von Plastikmüll zum Beispiel für die Umwelt ausgehen, im humanen Verbraucherschutz. Also wenn wir schauen auf die menschliche Gesundheit, dann geht es ja eher um Partikel, die viel viel kleiner sind, die wir wahrscheinlich mit dem bloßen Auge gar nicht sehen können.
00:07:21: Römermann: Was ich auch gelesen habe, es gibt eine Unterscheidung zwischen primären und sekundären Mikroplastik. Das klingt extrem technisch. Können Sie uns das ein bisschen aufdröseln? Was ist das eine, was ist das andere?
00:07:32: Sieg: Das ist eigentlich recht einfach. Also primäres Mikroplastik ist absichtlich in dieser Größe hergestellt. Also zum Beispiel als Granulate, als Pellets oder auch als Rohstoffe in der Industrie, zum Beispiel Plastik-Körnchen, die zum Einschmelzen genommen werden und dann zur Produktion größerer Plastikprodukte verwendet werden. Das sekundäre Mikroplastik ist das, was aus größeren Teilen durch Verwitterung entsteht. Also aus Plastikmüll, durch Einstrahlung von Sonne oder auch durch Meerwasser zerfällt der Plastikmüll in immer kleinere Teilchen und das ist dann das sekundäre Mikroplastik, von dem wir reden.
00:08:04: Römermann: Kann man denn nachvollziehen bei einzelnen Mikroplastikpartikeln, beispielsweise wenn Sie jetzt in Lebensmitteln gefunden werden, wo diese Mikroplastikpartikel tatsächlich herkommen?
00:08:13: Sieg: Das ist gar nicht so leicht, weil die Plastikpartikel können auf verschiedenste Arten in das Lebensmittel gelangen. Also die können natürlich möglicherweise über die Nahrungskette kommen. Also das heißt, wenn man jetzt zum Beispiel eine Muschel oder ähnliches ist, ist es durchaus möglich, dass diese Muschel im Meer diesen Plastikpartikel verschluckt hat, aufgenommen hat. Es kann aber natürlich auch bei Verpackungsprozessen in das Lebensmittel kommen. Es kann aber auch in das Lebensmittel kommen, nachdem man es schon gekauft hat, beim Zubereiten oder sogar beim Essen auf dem Teller kann Mikroplastik auf den Teller fallen. Denn es ist tatsächlich ein sehr, sehr großer Anteil Mikroplastik, der aus der Luft kommt, also aus dem Staub von den Straßen und so weiter, der dann irgendwo mit den Menschen in Berührung kommt.
00:08:51: Römermann: Aber das heißt, man kann nicht an den einzelnen Partikeln durch, ich sage mal, Analyse später feststellen: Das kommt daher oder das kommt daher?
00:08:58: Sieg: Wenn man die Partikel messen kann, kann man auch das Material bestimmen. Manchmal stellt man fest, das ist jetzt aus Polyethylen, dann ist es sehr, sehr, sehr wahrscheinlich, dass es vielleicht aus einem Verpackungsmaterial kommt. Wenn es jetzt aus Polyamiden oder anderen Kunststoffmaterialen kommt, kann man vielleicht auch die Quellen sich dann vorstellen. Aber prinzipiell ist es nicht möglich, an der Messung alleine herzusagen, wo jetzt eigentlich das Plastik herkommt, ob das bei der Aufarbeitung oder deutlich früher in das Lebensmittel reingekommen ist.
00:09:24: Schäche: Wir hatten es ja gerade schon mal so angesprochen, Plastikmüll ist eine wichtige Ursache für die Entstehung von Mikroplastik. Wenn Plastik also zerfällt, bilden sich kleinere Partikel und verteilen sich in der ganzen Umwelt. Nun gehören Umweltfragen und Umweltverschmutzung nicht zu den gesetzlichen Aufgaben des BfR. Und somit sind diese Themen auch nicht Teil des Speziagebiets von ihnen, Herr Sieg. Aber ich glaube, wir könnten trotzdem mal ganz kurz sagen, was Mikroplastik für die Umwelt bedeutet.
00:10:01: Sieg: Ja, natürlich. Also man kann solche Aspekte nicht vollständig getrennt voneinander betrachten. Es ist wichtig, dass man immer versteht, wir Menschen leben in der Umwelt und die Umwelt wirkt auch auf uns. Und es ist glaube ich unstrittig, dass man sagt: Plastikmüll hat in der Umwelt nichts zu suchen. Kunststoffe sind Materialien, die haben ihre Berechtigung, die sind wertvoll, weil sie bestimmte Eigenschaften haben und sollten auch für genau diese Verwendungszwecke benutzt werden. Also ich denke jetzt zum Beispiel an Medizintechnik oder auch an Produkte wie in der Computertechnologie, die einfach ohne Plastik nicht auskommen. Aber ich denke, wir sind uns alle einig, dass eine Einwegverpackung aus Kunststoff jetzt nicht einfach in die Umwelt geworfen werden soll.
00:10:37: Schäche: Problematisch ist ja auch, dass sich sehr langsam zersetzt und dann auch anreichert in der Umwelt, richtig?
00:10:41: Sieg: Genau.
00:10:42: Schäche: Und wie sieht es mit Tieren aus? Also wenn Tiere Mikroplastik aufnehmen, wie gefährlich ist das für die Tiere?
00:10:47: Sieg: Das sind natürlich ganz schlimme Bilder, die man da immer in den Medien sieht. Die Seevögel, deren Magen vor der Kunststoffabfälle ist oder auch Fische, die gefunden werden. Da ist es wirklich wichtig, dass man sagt, okay, hier reden wir über Plastikmüll, der in der Umwelt nichts verloren hat. Aber hier reden wir streng genommen nicht von Mikroplastik. Also Mikroplastik, das sind wirklich kleine und kleinste Partikel, die teilweise mit dem Auge gar nicht sichtbar sind und die auf Mensch und Tier möglicherweise eine toxische Wirkung haben könnten. Also das heißt eine Wirkung, die eher einer Vergiftung gleich kommt. Das ist tatsächlich bei solchen großen Partikel nicht der Fall. Da ist es wirklich eher eine Verletzung der Tiere oder dass die Tiere schlichtweg keine Nahrung mehr aufnehmen können. Aber es ist nichts, was man jetzt in erster Linie als toxische Wirkung bezeichnen würde. Nichts womit wir uns jetzt in unserer Forschung beschäftigen.
00:11:32: Schäche: Ich fasse nochmal kurz zusammen: Mikroplastik ist ein Riesenproblem für die Umwelt und spätestens, wenn Tiere aber in Kontakt kommen mit Mikroplastik, kann Mikroplastik auch auf unseren Tellern landen über die Nahrungskette. Was bedeutet das jetzt eigentlich für die Gesundheit des Menschen?
00:11:48: Sieg: Da würde ich ganz gerne nochmal drauf zu sprechen kommen, wie das überhaupt in der Nahrungskette verteilt werden kann. Also da muss man bestimmte Dinge betrachten. Einmal: Um was für ein Lebensmittel handelt es sich? Also wenn man jetzt zum Beispiel von Muscheln oder von Shrimps oder ähnlichen Dingen spricht, die können natürlich Mikroplastikpartikel aufgenommen haben, können die auch in ihrem Darm zum Beispiel haben. Die Shrimps und manchmal, wenn das mit gegessen wird, ist es völlig klar, dass wir das dann auch über die Nahrung aufnehmen. Aber wenn wir jetzt schon etwas weitergehen und sagen: Okay, wir schauen jetzt bei Fischen oder bei anderen Lebewesen, da muss erst mal geklärt werden: Können diese Partikel, die vom Fisch verzehrt werden, überhaupt in das Produkt kommen? Also wenn wir jetzt zum Beispiel als Fischfilet essen, dann essen wir ja den Fischdarm nicht mit. Und da muss erst mal geklärt werden: Kann dieses Mikroplastik die Darmbarriere des Fisches überqueren und somit überhaupt bei uns Menschen ankommen?
00:12:35: Römermann: Kann man denn sagen, können Sie sagen, wie viel Mikroplastik in Deutschland tatsächlich bei uns auf dem Teller landet, in Lebensmitteln vorkommt? Gibt es irgendwelche Zahlen dazu?
00:12:46: Sieg: In dem Fall Zahlen zu nennen, ist aus mehreren Gründen schwierig. Das eine ist, dass die Messtechnik tatsächlich noch in der Entwicklung ist. Größere Partikel kann man mittlerweile ziemlich gut messen. Je kleiner die Partikel werden und auch je komplexer das Lebensmittel ist, umso schwieriger sind die tatsächlich zu messen und auch zu beziffern. Wenn Sie jetzt eine Flasche Wasser haben, dann können Sie da drin die Partikel relativ einfach messen. Es befassen sich viele Studien, die jetzt erschienen sind, eben auch mit Mikroplastik in Mineralwässern zum Beispiel, weil es einfach leicht zu messen ist. Wenn Sie jetzt ein Stück Teig haben oder ein Stück Fleisch oder ein Stück Brot, dann ist das schon viel, viel schwieriger, die Partikel darin zu entdecken. Und dann kommt noch dazu, dass die Partikel, die wir messen können, eher die größeren Partikel sind. Das mag von der gesamten Masse an Plastik, die da drin vorkommt, tatsächlich der Großteil sein. Aber anzahlmäßig sind wahrscheinlich die Partikel, die deutlich kleiner sind und die wir noch nicht messen können, die meisten.
00:13:38: Römermann: Da werden vermutlich auch momentan noch Methoden entwickelt, wie man das richtig zählen, messen und nachweisen kann, das kann ich mir vorstellen, oder?
00:13:44: Sieg: Genau, es sind die Nachweisverfahren zum einen, dass man die kleineren und kleinsten Partikel auch tatsächlich messen und zählen kann, dass man das Material bestimmen kann, weil so kleine Partikel kommen ja in der Natur auch vor und die müssen nicht unbedingt Kunststoff sein. Also das können auch kleine Sandpartikel sein oder kleine Staubpartikel, die nicht unbedingt Kunststoff sein müssen.
00:14:02: Römermann: Können wir trotzdem sagen, in welchen Lebensmitteln Mikroplastik im Zweifelsfall etwas häufiger vorkommt und in welchen vielleicht weniger häufig? Haben wir da irgendwelche Informationen darüber?
00:14:13: Sieg: Es gibt Informationen für bestimmte Dinge. Zum Beispiel wissen wir, dass Mikroplastik in Mehrwegflaschen häufiger vorkommt als in Einwegflaschen. Das ist tatsächlich so, dass beim Reinigen der Flasche und bei der Wiederverwendung durchaus Plastik auch durch die Prozesse in die Flaschen hineinkommt. Und dabei ist es interessanterweise gar nicht so entscheidend, ob die Flasche selbst aus Glas oder aus Kunststoff ist, sondern dabei ist tatsächlich entscheidend, wie alt diese Flasche ist, also wie lange diese Flasche schon im Umlauf ist. Wenn Sie sich zum Beispiel so eine große Mehrwegflasche vorstellen, diese alten, harten Flaschen, da sehen Sie öfters mal, dass die so weiße, grissellige Ränder haben. Das ist natürlich Alterung des Materials auch und da ist die Exposition gegenüber Mikroplastik auch höher in diesem Fall.
00:14:53: Schäche: Und beim Glas, bei der Glasflasche, was ist da in die Ursache, dass da Mikroplastik dringend von drin ist?
00:14:58: Sieg: Das kann zum einen von den Deckeln kommen, aber das kommt auch durch die Reinigung dieser Glasflaschen. Also diese Glasflaschen werden ja ausgespült, da waren auch mal Etiketten dran, die können auch Farbigmente und solche Dinge enthalten und das kann beim Reinigen der Flaschen durchaus in die Flaschen hineinkommen.
00:15:19: Römermann: Was passiert denn, wenn ich Lebensmittel oder Mineralwasser trinke, dass Mikroplastik enthält? Was passiert mit diesen Mikroplastikpartikeln dann in mir drin? Können die ins Blut gelangen oder was passiert da?
00:15:31: Sieg: Da sind wir jetzt angekommen bei dem Feld, in dem ich auch tatsächlich arbeite. Also wir schauen uns vor allem an, können solche Partikel prinzipiell die menschliche Darmbarriere überqueren und welche Eigenschaften müssen die Partikel dafür haben? Also wie groß müssen die sein? Gibt es eventuell Materialunterschiede? Also kann jeder Kunststoff gleich gut über den menschlichen Darm gelangen? Und da arbeiten wir seit einigen Jahren in Forschungsprojekten, die sich genau damit befassen.
00:15:56: Römermann: Darmbarriere ganz kurz nochmal erklärt und jetzt zu weit auszuholen?
00:15:59: Sieg: Ja, also der Darm stellt ja für den Körper eine Schutzschicht dar. Also der Darm enthält Zellen, die sehr dicht miteinander verbunden sind. Und da ist ja auch noch der Darmschleim drüber. Also das heißt, der Darm stellt erst mal ein Hindernis dar für solche Partikel.
00:16:13: Römermann: Dass die nicht einfach so ins Blut gelangen können?
00:16:15: Sieg: Genau und es ist auch nach unseren Erkenntnissen und auch nach Erkenntnissen der Europäischen Lebensmittelbehörde, der EFSA, so, dass der Darm eine sehr gute Barriere für die meisten Plastikpartikel darstellt. Nämlich für alle Plastikpartikel, die größer sind als 150 Mikrometer, also ein Zehntel Millimeter. Da kann man schon mal sagen, die können über die Darmbarriere grundsätzlich gar nicht drüber kommen, weil die einfach viel zu groß sind. Bei kleineren Partikeln ist es so, dass die möglicherweise in die Darmzellen reinkommen, aber von den Darmzellen nicht ans Blut weitergegeben werden. Das ist wahrscheinlich sogar eine Schutzfunktion des Körpers selbst. Also die Darmzellen nehmen die erst mal auf, aber behalten sie drin und geben sie nicht ans Blut weiter, damit sie sich nicht im Körper verteilen.
00:16:52: Römermann: Okay, also der Großteil des Mikroplastiks, wenn ich es richtig verstanden habe, kommt oben rein und unten wieder raus. Also der macht uns keine Sorgen. Es ist aber so, ein Teil bleibt im Darm und wird von den Darmzellen eingefangen, kann der Probleme verursachen, Entzündung oder ähnliches hervorrufen, oder ist das auch eher unproblematisch?
00:17:10: Sieg: Also das ist auch tatsächlich Teil unserer Forschung. Darüber gibt es noch sehr, sehr großen Forschungsbedarf. Was man schon mal sagen kann, ist, dass Kunststoffmaterialien ja zunächst erst mal als sehr unreaktiv gelten. Das heißt, diese Kunststoffmaterialien sind ja extra so hergestellt, dass sie jetzt keine besonders große chemische Wirkung haben. Nichtsdestotrotz müssen wir auf diese Partikel genau schauen, weil auch von Partikeln selbst möglicherweise Wirkung auf Zellen ausgehen kann. Das muss jetzt nicht nur bei Kunststoffpartikeln so sein, sondern das kann auch bei anderen Materialien so sein. Und da ist es eben wichtig herauszufinden: Was ist eigentlich die Wirkung, die von diesem Material ausgeht? Also: Gibt es da eine Wechselwirkung mit bestimmten Eiweißen in der Zelle? Oder lagern die Partikel sich vielleicht in den Fettschichten ein? Können dort sich über die Lebenszeit anreichern? Das sind genau die Fragen, die wir mit unserer Forschung klären wollen.
00:18:00: Römermann: Also Sie wissen es noch nicht genau, haben Sie schon eine Vermutung, wie tatsächlich die Mechanismen da sind und wie das Mikroplastik da reagieren kann auf unseren Körper?
00:18:08: Sieg: Es gibt natürlich wissenschaftliche Ideen, die man hat, wie das wirken kann. Dazu ist vielleicht zu betrachten, wenn man die Wirkung einer Substanz untersucht, ist es immer eine Frage der Dosis. Das heißt, wie viel einer Substanz verwende ich für mein Testsystem, verwende ich für meine Tests? Und wenn ich da nur genug von nehme, dann werde ich immer irgendeine Wirkung erzeugen. Man kann im Labor praktisch die Zellen natürlich mit Plastik erschlagen. Die Frage ist eigentlich: Unter realistischen Bedingungen, also bei den Mengen, mit denen man tatsächlich in Kontakt kommen kann, ist da eine Wirkung zu erwarten? Und da ist es tatsächlich so, dass von den Materialen, mit denen wir arbeiten, auf die Zellen erst mal akut keine toxische Wirkung zu messen ist.
00:18:47: Römermann: Gibt es was, was ich tun kann, wenn ich meine Mikroplastikaufnahme über die Nahrung verringern möchte? Sie haben eben die Glasflaschen, Plastikflaschen schon angesprochen. Mir scheint so, es bringt nichts, wenn ich deswegen jetzt auf Plastikflaschen verzichte.
00:19:00: Sieg: Das alleine bringt natürlich nichts. Es ist tatsächlich so, dass wahrscheinlich Dinge, die aus dem Meer kommen, mehr Plastikpartikel enthalten als andere Lebensmittel. Also wenn Sie jetzt sehr, sehr gern Muscheln essen oder Shrimps oder Algen, dann ist doch die Wahrscheinlichkeit gegenüber viel Mikroplastik exponiert zu sein, doch sehr hoch. Aber wie ich ja bereits gesagt hatte: Es kommt jetzt auch ein sehr, sehr hoher Anteil von der Straße, aus der Luft, vom Staub. Das heißt, das Lebensmittel auszutauschen gegen ein anderes wird jetzt erst mal an der Exposition nicht viel ändern.
00:19:29: Musik]
00:19:39: Schäche: Kommen wir nochmal zu einem ganz anderen Aspekt. Primaires Mikroplastik wurde ja auch für Kosmetik eingesetzt. Mich würde mal interessieren, wofür das da genau eingesetzt wurde. Also was ist der Zweck von Mikroplastik in Kosmetik?
00:19:55: Sieg: Da hat sich ja in den letzten Jahren sehr, sehr viel getan und Mikroplastik ist ja aus Kosmetik praktisch verschwunden. Es wurde eingesetzt, zum Beispiel als Peeling-Effekt. Also wenn man jetzt ein Duschgel auf die Haut aufträgt, dass das so eine reibende Wirkung sozusagen hat oder auch ein seidig weicher Glanz. Dafür wurde auch früher Mikroplastik verwendet. Mittlerweile hat aber die europäische Chemikalienagentur die ECHA gehandelt und hat ein Verbot in Kraft gesetzt, was die Verwendung von primären Mikroplastik weitgehend ausschließt. Was war da ursächlich für dieses Verbot? Dass letztlich die Gesellschaft auch verstanden hat, dass diese Partikel, wenn sie als lose Partikel Produkten zugesetzt werden, mehr oder weniger unkontrollierbar sind. Also wenn man sich jetzt diese Duschgele vorstellt: Da ist jetzt Kunststoff drin, das wird von der Haut runter gewaschen. Das heißt also für den Verbraucher, für die Verbraucherin geht zunächst erst mal nicht die Gefahr davon aus, dass diese Partikel über die Haut in den Körper kommen, weil da ist die Hautbarriere dicht genug, dass das nicht passiert. Aber das landet natürlich im Abwasser, das landet in den Kläranlagen und landet dann letztlich auch in der Umwelt.
00:20:54: Schäche: Sie sagten gerade, dass die Haut ein richtig guter Schutz ist. Wie sieht es da mit verletzter Haut aus?
00:20:59: Sieg: Bei verletzter Haut ist immer Vorsicht geboten, weil da ja auch durchaus sein kann, dass Substanzen, die auf diese verletzter Haut kommen, auch direkt ins Blut gelangen können. Das ist jetzt aber nicht konkret nur für Mikroplastik der Fall, sondern das ist für alle möglichen Substanzen, die man so auf den Körper bekommt.
00:21:14: Schäche: Und kann ich beim Einkaufen eigentlich erkennen, ob Produkte Mikroplastik enthalten?
00:21:19: Sieg: Es ist häufig so, man liest das ja immer frei von Mikroplastik, ohne Mikroplastik und so weiter. Schäche: Genau, ja.
00:21:24: Sieg: Das kann durchaus eine sehr irreführende Kennzeichnung sein, weil da geht es darum, dass bei der Produktion dieses Produktes, bei der Herstellung dieses Produktes Mikroplastik nicht als Rohstoff eingesetzt wurde. Aber wie wir ja schon gehört haben, ist Mikroplastik mehr oder weniger überall. Also wenn Sie nur genau genug messen, finden Sie das immer und das werden Sie auch in diesen Produkten finden. Es ist nur nicht mit Absicht zugesetzt worden als Teil der Rezeptur.
00:21:50: Schäche: Gut, wir haben jetzt also geklärt, dass wir mit Mikroplastik über die Nahrung und über Produkte in Kontakt kommen können. Aber Mikroplastik steckt ja auch in der Luft, also genau genommen in Staubpartikeln. Herr Sieg, können Sie uns nochmal erklären, wie Mikroplastik im Staub landet? Also wo kommt das her?
00:22:09: Sieg: Der Staub ist tatsächlich eine der größten und wichtigsten Quellen. Also was da besonderen Einfluss hat, ist der Straßenverkehr, also Abrieb von Reifen, Abrieb von Straßen, aber auch andere Quellen, wie zum Beispiel Pellets, die produziert werden oder wurden. Viele wissen gar nicht, dass eine der wichtigsten Quellen, die Granulate gewesen sind, die auf Kunstrasen eingesetzt wurden.
00:22:32: Schäche: Diese Partikel sind auch im normalen Hausstaub? So kann ich mir das vorstellen?
00:22:36: Sieg: Genau, und auch diese Partikel sind teilweise so klein, dass wir die nicht sehen können und machen einen großen Teil des Staubes aus.
00:22:43: Schäche: Und das heißt, wir Menschen atmen die dann auch ein?
00:22:45: Sieg: Das passiert auf jeden Fall.
00:22:46: Schäche: Und was passiert in der Lunge, wenn wir das einatmen?
00:22:49: Sieg: Auch da muss man genauer hinschauen, weil ein Großteil der Partikel, die man eingeatmet hat, werden von der Schleimhaut gebunden. Das heißt, die setzen sich irgendwo im Rachen ab und werden entweder ausgehustet oder verschluckt. Also sind wir da tatsächlich wieder eher bei einer Aufnahme über den Darm. Aber wenn wir jetzt von kleineren und kleinsten Partikeln sprechen, kann es durchaus sein, dass die in tiefere Lungenschichten kommen und dann über die Lungen ins Blut gelangen. Aber wie gesagt: Da sind die Wissenslücken noch sehr, sehr groß. Da haben wir bisher noch sehr, sehr wenig Erkenntnisse, wie es mit diesen kleinsten Nanoplastikpartikeln sich verhält. Können die sich auch festsetzen da irgendwo im Körper? Also wenn sie sich festsetzen, dann setzen sie sich vor allem erst mal in den Schleimhauten fest. Und dieser Schleim wird eher abgehustet oder verschluckt und wird wahrscheinlich auch über den Darm wieder ausgeschieden.
00:23:34: Römermann: Aber da sind wir dann tatsächlich durch diese Schleimhaut, durch den Schleim auch geschützt tatsächlich?
00:23:38: Sieg: Das ist genau die Aufgabe dieses Schleims, dass er eine Filterfunktion hat und damit eben auch alle möglichen Partikel und eben auch Plastikpartikel aufnimmt und bindet.
00:23:47: Schäche: Sind denn irgendwelche unerwünschten Reaktionen bekannt, wenn ich mir jetzt vorstelle, ich atme sowas ein, ich weiß nicht, sowas wie Asthma oder Ähnliches?
00:23:54: Sieg: Da ist es immer schwer, eine Ursache Wirkungsbeziehung tatsächlich aufzuzeigen. Also es gibt bisher tatsächlich noch keinen Fall, wo man sagen kann, dieser Mensch hat konkret durch eine Aufnahme von Plastikpartikeln einen gesundheitlichen Schaden erlitten. Also da ist tatsächlich noch nicht gezeigt, ob es eine ursächliche Wirkung dieser Plastikpartikel auf Erkrankung oder gesundheitliche Risiken gibt.
00:24:17: Römermann: Insgesamt klingt es eher beruhigend, dass Mikroplastik kein zumindest akutes Risiko für uns Menschen ist. Auf der anderen Seite lesen wir aber immer mal wieder über Wissenschaftler, die Mikroplastik im Blut nachgewiesen haben oder sogar in Organen. Neulich habe ich sogar gelesen: Im Penisgewebe beim Mann wurde es nachgewiesen. Oh Gott!? Wie kann das passieren? Und was bedeutet das, wenn Mikroplastikpartikel in Organen gefunden werden? Ist das schlimm? Kann das unerwünschte Reaktionen auslösen?
00:24:56: Sieg: Es ist tatsächlich dem geschuldet, dass die Messtechnik immer besser wird. Also ich würde davon ausgehen, dass Mikroplastik, wenn das Messgerät, das man hat, nur gut genug ist, überall gefunden wird. Und wenn Sie jetzt das Beispiel mit den Penissen bringen, ich hatte da so den Gedanken: Wenn Sie fünf kaputte Autos in die Werkstatt bringen, dann werden in all diesen Autos wahrscheinlich auch Mikroplastikpartikel gefunden. Aber diese Mikroplastikpartikel sind jetzt nicht der Grund dafür, dass die Autos kaputt sind.
00:25:21: Römermann: Okay, da mag was dran sein. Trotzdem machen sich Menschen natürlich Sorgen, wenn solche Dinge im Körper gefunden werden. Haben wir denn Hinweise darauf, dass diese Mikropartikel im Körper tatsächlich Krankheiten auslösen können?
00:25:34: Sieg: Das ist natürlich ein Feld, auf dem im Moment sehr, sehr intensiv geforscht wird. Also kürzlich ist zum Beispiel eine Studie erschienen. Da wurde in den Ablagerungen von Blutgefäßen bei Menschen mit Herz-Kreislauferkrankungen auch Mikroplastik gefunden. Auch hier ist es besonders wichtig zu sehen: Dass diese Partikel dort gefunden werden, ist eine wichtige Erkenntnis. Aber das sagt jetzt nichts darüber aus, ob diese Partikel wirklich mit der Erkrankung in Verbindung stehen.
00:25:57: Römermann: Insgesamt kann man sagen, es gibt noch viele Fragen, die geklärt werden müssen. Was sind für Sie im Bereich Mikroplastik momentan die wichtigsten, offenen Fragen, die jetzt noch geklärt werden? Wenn Sie es so auf zwei, drei Punkte zusammenfassen sollten?
00:26:10: Sieg: Ja, die aller wichtigste Frage ist: Welche Wirkung kann direkt ursächlich von diesen Plastikpartikeln ausgehen? Also: Welche Wirkung auf Zellen, auf zelluläre Prozesse können diese Plastikpartikel auslösen? Der zweite wichtige Punkt ist, die Messtechnik muss so gut werden, dass wir auch in komplexeren Lebensmitteln, also in Fleisch, in Brot, ähnlichen Dingen kleine und kleinste Partikel wirklich finden können. Also wir müssen Methoden entwickeln, wo diese Partikel detektiert, also gemessen und auch gezählt, quantifiziert werden können.
00:26:41: Schäche: Zum Stichwort offene Fragen fällt mir jetzt gerade noch mal das kleine Rätsel vom Anfang dieser Podcastfolge an. Die erinnern sich vermutlich noch, wir hatten eine Studie zitiert und demnach nehmen wir alle im Laufe einer Woche über Lebensmittel und Atemluft reichlich viel Mikroplastik auf. Und zwar angeblich so viel wie in einer Kreditkarte steckt. Herr Sieg, wie sieht es denn aus? Essen wir tatsächlich pro Woche eine Kreditkarte?
00:27:08: Sieg: Das finde ich sehr wichtig, dass Sie das noch mal ansprechen, weil diese Kreditkarte, die ist ja seit einiger Zeit in der Welt und alle haben davon schon mal gehört und das hat sich irgendwo im Kopf auch festgesetzt. Aber hier ist tatsächlich wichtig, dass wir das mal richtig stellen. Diese Berechnung, die dazu gelegt wurde, basiert zum einen auf einer sehr, sehr unsicheren Datenlage. Das heißt, hier wurden Messungen verschiedenster Methoden zusammengerechnet und es wurden auch falsche Annahmen getroffen. Also zum einen wurde eine durchschnittliche Partikelgröße von etwas unter einem Millimeter angesetzt und darauf auf eine Gesamtmasse hochgerechnet. Es ist aber tatsächlich so, dass wenn man sich jetzt die Verteilung der Größen dieser Partikel anschaut, die allermeisten Partikel viel, viel kleiner sind als dieser besagte Millimeter.
00:27:53: Römermann: Also die meisten Mikroplastikpartikel, die wir aufnehmen, sind deutlich kleiner als diese.
00:27:58: Sieg: Genau. Und diese kleinen Partikel tragen dementsprechend zur Menge, zur Masse an Plastik viel, viel weniger bei. Also realistischere Studien gehen jetzt eher von so 80 Mikrogramm pro Tag ungefähr aus. Auch das basiert immer noch auf einer unsicheren Datenbasis. Aber da kann man dann davon ausgehen, dass die Aufnahme über die Woche eher im Mikrogrammbereich ist. Also weit weg von der Kreditkarte.
00:28:20: Römermann: Also wie viel von einer Kreditkarte dann maximal? Was würden Sie sagen, wenn wir das jetzt umrechnen würden?
00:28:24: Sieg: Ein winziger Schnipsel ist das.
00:28:26: Römermann: Ein winziger Schnipsel.
00:28:27: Schäche: Das beruhigt ja schon mal ein bisschen.
00:28:28: Römermann: Das beruhigt tatsächlich sehr.
00:28:31: Schäche: Damit kommen wir jetzt auch langsam zum Schluss der Podcastfolge. Herr Sieg, nochmal kurz zusammengefasst. Was sollten Verbraucher über Mikroplastik wissen?
00:28:49: Sieg: Zunächst erst mal ist es wichtig, sich über dieses Thema zu informieren. Es ist auf jeden Fall ein großes Thema für die Umwelt. Wie geschaffen wir es, den Plastikmüll zu reduzieren? Und dann ist es wichtig, genau hinzuschauen, wenn es um gesundheitliche Fragestellungen geht. Wir wissen mittlerweile: Es kommt über die Nahrung in den Körper. Also wir nehmen Mikroplastik auf. Ein Großteil dieser Partikel werden aber ungenutzt über den Darm wieder ausgeschieden und werden gar nicht im Körper verteilt. Wir wissen auch, dass die Wirkung von diesem Kunststoffmaterialien nur in sehr, sehr hohen Konzentrationen überhaupt auf Zellen Effekte zeigt. Und dass wir diese Konzentrationen unter realistischen Bedingungen gar nicht erreichen können. Zumindest nach heutigen Stand des Wissens können wir schon mal sagen, dass es da keinen Grund zur Panik gibt, dass wir aber auf jeden Fall an dem Thema auch dran bleiben müssen.
00:29:33: Römermann: Und damit geht tatsächlich diese Folge von "Risiko", dem BfR-Podcast auch zu Ende. Unser heutiger Gast war Dr. Holger Sieg, der Leiter der Arbeitsgruppe Mikroplastik bei uns am Bundesinstitut für Risikobewertung. Lieber Herr Sieg, vielen Dank für das spannende Gespräch.
00:29:48: Sieg: Danke schön.
00:29:49: Schäche: Ja, und wenn Ihnen der Podcast gefallen hat, dann abonnieren Sie am besten gleich unseren Kanal. "Risiko" gibt es über alle gängigen Podcast-Plattformen, Podcast-Programme und über viele Streaming-Dienste. Aber Sie können die Folgen natürlich auch über unsere Webseite finden unter www.bfr.bund.de. Wenn Sie mögen, können Sie uns aber auch eine E-Mail schicken mit Lob, mit Kritik oder auch mit Anregung für neue Podcast-Themen. Unsere E-Mail-Adresse lautet podcast@bfr.bund.de.
00:30:21: Römermann: Und das war's für heute. Hier am Mikrofon verabschieden sich Sonja Schäche und Stefan Römermann.
00:30:27: Schäche: Und wir sagen Danke fürs Zuhören und Tschüss.