Melatonin als Nahrungsergänzungsmittel: Keine "sanfte Einschlafhilfe" (004)
Shownotes
Probleme beim Einschlafen? Kein Problem! Das versprechen uns jedenfalls die Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln. In Drogerien, Supermärkten und Online-Shops gibt es inzwischen dutzende Produkte mit Melatonin. Melatonin wird auch in verschreibungspflichtigen Medikamenten benutzt und kann tatsächlich die Zeit zum Einschlafen verkürzen. Doch Melatonin ist keine „sanfte Einschlafhilfe“. Es greift in unseren körpereigenen Hormonhaushalt ein und kann eine Reihe von Nebenwirkungen verursachen. Vor allem Kinder, Schwangere und Menschen mit Vorerkrankungen sollten vorsichtig sein.
Gast: Dr. Britta Nagl, BfR-Abteilung „Lebensmittelsicherheit“
Moderation: Sonja Schäche und Stefan Römermann
Weitere Informationen auf der BfR-Website zum Melatonin:
Melatoninhaltige Nahrungsergänzungsmittel sollten nicht unkritisch eingenommen werden (FAQ)
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00:00:00: Risiko - Der BfR-Podcast
00:00:11: Stefan Römermann: Eigentlich sollte die Sache ja klar sein: Guter und ausreichender Schlaf, der ist extrem wichtig. Schließlich braucht unser Körper Ruhepausen und Erholung. Und gerade auch unser Gehirn, das sollte zwischendurch mal abschalten, um all das zu verarbeiten, was wir so in den letzten Stunden alles erlebt haben. Doch in der Praxis ist das mit dem Schlaf für viele Menschen gar nicht so einfach. Tatsächlich sagten in Deutschland bei Umfragen in den letzten Jahren rund ein Viertel der Befragten, dass sie an Schlafstörungen leiden.
00:00:40: Sonja Schäche: Ja, aber für fast jedes Problem gibt es ja angeblich auch eine Lösung. Und zumindest, wenn man der Werbung der Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln glauben darf, dann heißt die Lösung bei Einschlafproblemen ganz eindeutig: "Melatonin". Produkte mit Melatonin gibt es in der Apotheke, aber auch in Drogerien und selbst im Supermarkt. Wer also Hilfe beim Einschlafen braucht, der findet in der Regel oft dutzende melatoninhaltige Produkte, und zwar in allen denkbaren Formen und Varianten, zum Beispiel als Kapseln, Sprays, Tees, Pulver und sogar als bunte Gummibärchen. Alles angeblich sanft und gut verträglich, das verspricht zumindest die Werbung. Schließlich ist Melatonin ein Stoff, den unser Körper auch selbst produzieren kann.
00:01:29: Römermann: Tja, und wenn unser Körper nur wirklich auch selbst Melatonin herstellen kann, dann muss das ja auch harmlos sein. Oder vielleicht doch nicht? Schließlich ist Melatonin ein Hormon und kann eine ganze Menge Körperfunktionen beeinflussen. Wie Melatonin konkret in unserem Körper wirkt und warum Melatonin Gummibärchen und Kapseln vielleicht doch nichts sind für Kinder oder für schwangere Frauen oder Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen - und warum man bei Schlafstörungen vielleicht doch eher zum Arzt gehen sollte als schnell irgendwelche Kapseln schlucken... Darum geht es in unserer heutigen Podcast-Folge.
00:02:02: Schäche: Und damit hallo und herzlich willkommen zu "Risiko", dem BfR-Podcast. Mein Name ist Sonja Schäche.
00:02:09: Römermann: Und mein Name ist Stefan Römermann. Wir arbeiten beide in der Pressestelle vom BfR, beim Bundesinstitut für Risikobewertung. Das BfR - nur noch mal ganz kurz erwähnt - ist ein unabhängiges Forschungsinstitut, das unter anderem die Bundesregierung bei Themen wie der Sicherheit von Chemikalien und Produkten und bei der Lebensmittelsicherheit berät. Und zur Lebensmittelsicherheit, da gehört eben auch die Sicherheit von Nahrungsergänzungsmitteln wie die Melatonin-Kapseln oder die Gummibärchen.
00:02:35: Schäche: Und genau mit diesem Thema hat sich unser heutiger Gast ganz intensiv in den vergangenen Jahren beschäftigt: Frau Dr. Britta Nagl. Britta Nagl ist Ernährungswissenschaftlerin und arbeitet in der Abteilung für Lebensmittelsicherheit hier bei uns am BfR. Liebe Frau Nagl, Hallo und herzlich willkommen bei Risiko.
00:02:54: Britta Nagl: Ja herzlich willkommen, ich grüße Sie.
00:02:56: Schäche: Um unsere Hörer jetzt nicht zu sehr auf die Folter zu spannen: Sagen Sie doch bitte schon mal in zwei bis drei Sätzen kurz, warum Produkte mit Melatonin nicht so ganz unproblematisch sind, wie uns die Werbung manchmal suggeriert?
00:03:09: Nagl: Wir sehen insbesondere Risiken bei der längerfristigen unkontrollierten Einnahme von Melatonin. Weil Melatonin ein Körper eigenes Hormon ist und da vielfältige Wirkung im Körper hat. Und Melatonin wird ja auch als Wirkstoffen in verschreibungspflichtigen Arzneimitteln verwendet. Und insofern ist es problematisch, dass Melatonin auch in Nahrungsergänzungsmitteln erhältlich ist. Und ja und so von den Verbraucherinnen und Verbrauchern als vermeintlich sanfte Einschlafhilfe genutzt werden kann, auch über einen längeren Zeitraum. Wenn wir Melatonin unkontrolliert und über längere Zeit einnehmen, kann es Auswirkungen auf unseren Schlafrhythmus haben.
00:03:49: Römermann: Bevor wir jetzt richtig tief in das Thema Melatonin einsteigen wollen, wollen wir von Frau Nagl allerdings noch was anderes wissen. Unser Podcast heißt ja "Risiko" und deshalb fragen wir regelmäßig, wie sie es denn eigentlich so ganz persönlich mit dem Risiko im Leben halten. Frau Nagl, wie sieht es aus: Sind Sie eher ein extrem vorsichtiger Typ oder gehen Sie auch mal ganz bewusst irgendwelche Risiken ein im Leben? Wie machen Sie es?
00:04:24: Nagl: Also ich würde schon sagen, dass ich eher ein vorsichtiger Mensch bin. Das ist natürlich auch eine Altersfrage. Also meine Risikobereitschaft hat so ein bisschen abgenommen im Laufe meines Lebens. Und ich würde jetzt auch sagen, gerade so was Extremsportarten angeht, das verbindet man ja immer mit Risiken. Da wäre meine Risikobereitschaft nicht so groß, weil ich da auch ein bisschen die Sinnhaftigkeit vermissen würde. Aber: Ich fahre vier Fahrrad in Berlin, also fast alle Strecken und da wird meine Risikobereitschaft auch oft auf eine harte Probe gestellt. Weil ich da ja oft auch auf andere Teilnehmerinnen treffe auf der Straße, die eben doch dann die deutlich weitere Auslegung des Begriffes "Risiko" haben.
00:05:03: Römermann: Hat Sie die Arbeit am BfR irgendwie dazu gebracht, dass Sie Ihren Umgang mit Risiken im Alltag irgendwie geändert haben?
00:05:09: Nagl: Definitiv. Also meine Risikowahrnehmung hat sich verändert. Ich gucke auch im Supermarkt, wenn ich einkaufen gehe, jedes Etikett an und prüfe das nochmal und stelle Überlegungen an. Aber das betrifft auch andere Bereiche, also nicht nur den Bereich der Ernährung.
00:05:24: Schäche: Ja, das geht uns, glaube ich, auch so. (lacht)
00:05:26: Römermann: Kann ich nachvollziehen. (lacht)
00:05:38: Schäche: Dann lassen Sie uns doch mal ein bisschen in die Tiefe gehen zum Thema. Und zwar, wir haben es ja eben schon mal gehört, Melatonin ist ein Hormon und für alle, die jetzt vielleicht keinen Bio-Leistungskurs hatten, sagen Sie doch nochmal ganz grundsätzlich: Was ist eigentlich ein Hormon genau und was macht das so bei uns im Körper?
00:05:55: Nagl: Ja, wenn ich das ganz allgemein erst mal sagen kann... Also das Wort "Hormon" bedeutet im übertragenen Sinne "Antreiber". Das ist halt eigentlich die Aufgabe sozusagen als Botenstoff zu fungieren, also als "Postbote". Diese Hormone, die werden von einer Drüse ausgeschüttet und die Drüse liegt in der Nähe von Blutgefäßen, sodass diese Hormone, die Aufgaben haben Informationen über den Körper zu verteilen, über das Blutkreislaufsystem und so werden Informationen über eine lange Strecke über einen langen Weg weitergegeben im Körper.
00:06:25: Römermann: Also die entstehen in Drüse A irgendwo im Körper?
00:06:28: Nagl: Genau, genau.
00:06:29: Römermann: Und dann am anderen Ende vom Körper wird dann eine Reaktion ausgelöst. Bei Insulin wissen dann die Zellen, dass sie jetzt also Zucker aufnehmen können?
00:06:36: Nagl: Genau, genau, ja.
00:06:37: Schäche: Und um jetzt nochmal bei Melatonin zu bleiben, was für Botschaften transportiert Melatonin im Körper? Es hat einen großen Einfluss auf den Schlafwachrhythmus, sagten sie ja schon.
00:06:45: Nagl: Genau, also das übermittelt die Botschaft: "Jetzt wird es dunkel, es wird Nacht. Der Körper soll langsam runterfahren, soll in den Schlafmodus kommen." Und dazu wird es ausgeschüttet, über den Blutkreislauf an verschiedenste Stellen des Körpers transportiert, an verschiedenste Zellen und Organe, und übermittelt sozusagen dort die Botschaft runterzukommen. Also: Der Blutdruck senkt sich, die Körpertemperatur senkt sich und auch im Gehirn, die Aktivität des Gehirns geht zurück.
00:07:12: Schäche: Also kann ich mir das so vorstellen, dass überall im Körper irgendwie Rezeptoren vorhanden sind, dann den Melatonin andocken kann und dort die Botschaft zu transportieren?
00:07:19: Nagl: Ja, so sieht das aus. Im Herz, Leber, überall gibt es Rezeptoren für Melatonin und eben auch im Gehirn natürlich.
00:07:26: Schäche: Also einen großen Einfluss auf dem Körper, auf den gesamten Körper?
00:07:29: Nagl: Auf jeden Fall, ja.
00:07:30: Schäche: Wie lange ist denn die Wirkung vom Melatonin schon bekannt oder überhaupt das Hormon Melatonin?
00:07:36: Die Zirbeldrüse, als Drüse, die auch Melatonin bildet und ausschüttet in den Blutkreislauf... Das weiß man schon lange, dass es die gibt. Die ist schon 200 Jahre nach Christus entdeckt worden, sozusagen. Und man dachte immer auch, das sei der, Sitz der rationalen Seele, im Mittelalter. Die Zirbeldrüse, das ist eine erbsengroße Drüse ungefähr.
00:07:55: Römermann: Die sitzt im Gehirn irgendwo?
00:07:57: Nagl: Ja, im Zwischenhirn, genau. Und es gelang aber erst 1958 letzten Endes die chemische Struktur aufzuklären. Das war ein sehr interessantes Experiment, weil da für tausende Rinder-Zirbeldrüsen, diese erbsengroßen, genommen wurden, um eben diese Substanz Melatonin zu extrahieren und auch die chemische Struktur aufzuklären letzten Endes.
00:08:18: Römermann: Also die Zirbel...
00:08:19: Nagl: Dann wusste man aber noch nicht, dass es noch Hormon ist.
00:08:21: Römermann: Die Zürbeldrüse. Die Zürbel.... Zirbeldrüse....
00:08:23: Nagl: Zirbel.... ja...
00:08:24: Römermann: Die Zirbeldrüse.
00:08:25: Nagl: Abgeleitet von der Zirbelkiefer.
00:08:26: Römermann: Die Zirbeldrüse. Die Zirbeldrüse.
00:08:32: Nagl: Abgeleitet von der Zirbelkiefer. Weil die Zapfen so ein bisschen der Form ähneln.
00:08:36: Römermann: Die Zirbeldrüse.
00:08:37: Die Zirbeldrüse ist also schon, ich sag mal: seit Jahrtausenden bekannt. Man wusste: da gibt es ein lustig aussehendes Organ, aber man wusste lange Zeit nicht, was es wirklich macht.
00:08:46: Nagl: Genau. Das wusste man nicht.
00:08:47: Schäche: Aber ein großer Einfluss wurde ihr schon immer zugesprochen.
00:08:50: Nagl: Genau.
00:08:51: Aber man wusste eben nicht, was die macht im Körper sozusagen. Und 1958 ist Melatonin erstmals charakterisiert worden, aber da wusste man noch nicht, dass es noch Hormon ist. Und 1963 konnte man dann erstmals zeigen, dass Melatonin ein Hormon, weil es eben weit, über den Blutkreislauf verteilt wird. Das hat man an Ratten gezeigt. Und auch 1963 konnte man zeigen, dass Tiere, ob nacht- oder tagaktiv, Melatonin nachts ausschütten oder die Konzentration nachts im Blut ansteigt und viel höher ist als am Tag.
00:09:23: Schäche: Ja.
00:09:24: Nagl: Das war dann schon auch mal eine Erkenntnis sozusagen, die man für die Säugetiere getroffen hat, die man aber noch nicht auf den Menschen übertragen hatte. Also man dachte eher, der Mensch sei in seine sozialen Strukturen eingebunden und sei nicht mehr so abhängig von den evolutionären Gegebenheiten, sondern hätte sich da so ein bisschen emanzipiert. Und 1980 konnte man dann erst mal zeigen, dass eben auch so gesunde Menschen nachts darauf reagierten, wenn man die Tageslicht aussetzte, die Melatonin-Konzentration im Blut abnahm. Also Licht auf die Melatonin-Konzentration wirkte. Wenn man das Licht wieder ausgeschaltet hat, stieg die Melatonin-Konzentration wieder. Das war der Beginn eigentlich der Chrono-Biologie.
00:10:03: Schäche: Können Sie nochmal genau sagen, wie dieser Mechanismus funktioniert?
00:10:06: Nagl: Also ich hatte ja schon erwähnt, Melatonin wird in der Zirbeldrüse gebildet und die Zirbeldrüse muss ja auch irgendwie ihre Informationen irgendwo herkriegen. Und jetzt wird es ein bisschen kompliziert: Im Gehirn sitzt der Nucleus suprachiasmaticus. Der sozusagen...
00:10:21: Römermann: Uiuiui...
00:10:25: Nagl: Das klingt sehr gefährlich... Aber ich muss den erwähnen. Man muss sich das vorstellen wie so ein Netzwerk aus Tausenden von Nervenzellen. Und die schwingen alle sozusagen in so einem 24 Stunden Rhythmus, also ca. einem Tag, schwingen die und geben damit unsere innere Uhr vor. Also dort ist die sogenannte "Master Clock".
00:10:41: Römermann: Unsere Hauptuhr im Körper.
00:10:43: Nagl: Unsere Hauptuhr im Körper sozusagen. Die ist in diesem Netzwerk von Nervenzellen lokalisiert und die gibt unseren inneren Takt vor. Jede Zelle hat auch eine innere Uhr sozusagen und dieser Master Clock synchronisiert quasi alle Zellen und wird aber eben kalibriert durch äußere Einflüsse. Darunter eben Sonnenlicht, also hell - dunkel, Nacht - Tag. Und diesen Master Clock steuert wiederum diese Zirbeldrüse.
00:11:09: Nagl: Und solange Licht auf die Netzhaut fällt, wird die Ausschätzung von Melatonin in der Zirbeldrüse gehemmt. Und zu Beginn der Dämmerung und später in der Nacht wird die Aktivität in der Zirbeldrüse langsam hochgefahren. Melatonin wird gebildet und dann auch in den Blutkreislauf abgegeben. Und wir haben die höchste Konzentration in etwa zwischen zwei und vier Uhr nachts und zu den Morgenstunden hin sinkt dann die Melatonin-Konzentration im Blut wieder. Und diesen Master Clock ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Jeder Mensch hat seine eigene Uhr, die geht man schon ein bisschen vor, ein bisschen nach, was man eben auch dann sieht an den verschiedenen Typen, ob man "Eule" oder "Lerche" ist oder so.
00:11:48: Römermann: Also ob man eher spät arbeiten kann oder früh?
00:11:49: Nagl: Genau. Und das ist in unseren Genen festgelegt und das können wir auch gar nicht beeinflussen.
00:11:55: Schäche: Und dieser Mechanismus, den Sie gerade beschrieben haben, der wurde in den 80er Jahren entdeckt?
00:12:00: Nagl: Da wurde nachgewiesen, dass Licht die Melatonin-Konzentration beeinflussen kann im Körper. Wie gesagt, das war die Geburtsstunde der Chrono-Biologie, dass man eben auch gesehen hat: Licht hat da einen großen Einfluss.
00:12:11: Römermann: Und eben auch das Melatonin an der Stelle.
00:12:13: Nagl: Und auch das Melatonin, genau. Und man hat intensiv begonnen das zu erforschen.
00:12:17: Schäche: Okay, und das war dann auch der Durchbruch für Melatonin als Trendprodukt? Wir haben zum Beispiel gehört, dass das auch als eine Art Wundermittel angepriesen wurde in Amerika?
00:12:26: Nagl: Genau, das ist eigentlich eine ganz spannende Geschichte. Weil 1995 erschien ein Buch in Amerika: "Das Wunder Melatonin" Da hatten Forscher quasi ihre Forschungsergebnisse niedergeschrieben und die hatten alten Mäusen, die Zirbeldrüsen von jungen Mäusen verpflanzt und umgekehrt. Und man sah sozusagen, dass die alten Mäuse auf einmal wieder ganz agil wurden, glattes Fell bekamen und so weiter. Die Forschungsarbeiten wurden sehr kritisiert, weil die methodisch nicht korrekt waren und weil man eben auch Ergebnisse von Mäusen nicht auf Menschen übertragen kann. Aber in dem Buch postulierte eben auch der Autor und Wissenschaftler: Ja, wir werden nicht mehr vergreisen. Mit 90 kannst du noch Skateboard fahren mit deinem Enkel und so weiter.
00:13:07: Schäche: Okay, so ein Jungbrunnen-Mittel.
00:13:09: Nagl: Genau, ein Jungbrunnen, schrieb die Newsweek.
00:13:10: Römermann: Der Stein der Weisen...
00:13:11: Nagl: ... dann schrieb die Newsweek: "Das ist die heißeste Pille des Jahrzehnts!" sozusagen und so begann eben der Boom und die Menschen begann es in physiologisch hohen Konzentrationen zu schlucken, weil es eben angepriesen wurde als Jungbrunnen letzten Endes auch.
00:13:27: Schäche: Also wirklich ein Wundermittel.
00:13:28: Nagl: Ja, aber man kann schon sagen: das Wunder trat nicht ein. Aber auf jeden Fall begann so der Boom in Amerika und es wurde eben dort dann Melatonin als Nahrungsergänzungsmittel verkauft.
00:13:41: Römermann: Also es klingt bei Ihnen schon ein bisschen raus, ein Wundermittel ist Melatonin vielleicht dann doch nicht so richtig. Aber man kann schon sagen Melatonin ist tatsächlich ein wirksamer Stoff. Der hat starke Wirkungen und er wird ja auch als Medikament eingesetzt. Vielleicht können Sie ganz kurz erklären, für was genau wird Melatonin heutzutage verschrieben?
00:14:10: Nagl: Melatonin wird als Wirkstoff in verschreibungspflichtigen Medikamenten eingesetzt und zwar ist es einmal zugelassen als Wirkstoff für Menschen ab 55, die unter primären Schlafstörungen leiden. Primär heißt, dass eben keine anderen Ursachen infrage kommen. Und die das dann abends vorm Schlafengehen nehmen - für maximal 13 Wochen und das ist auch ein Retardpräparat. Das heißt, die Dosis-Freisetzung von Melatonin erfolgt etwas verlangsamt, über einen längeren Zeitraum.
00:14:38: Römermann: Also der Stoff wird nicht einmal quasi komplett, also die ganze Menge freigesetzt, sondern langsam freigesetzt und dann langsam auch erst vom Körper aufgenommen.
00:14:46: Nagl: Genau, so sieht es aus. Und dann ist es noch zugelassen zur Behandlung von Schlafstörungen, wenn alle Schlafhygiene-Maßnahmen nicht ausgereicht haben, bei Kindern und Jugendlichen im Alter von zwei bis acht Jahren, die unter Autismus-Spektrum-Störungen leiden oder ebenunter einer schweren genetischen Erkrankung, dem Smith-Magenis-Syndrom oder eben ADHS haben. Und mittlerweile ist es auch die Indikation Jetlag.
00:15:10: Römermann: Wenn man eine lange Reise gemacht hat...
00:15:13: Nagl: Genau, wenn man verschiedene Zeitzonen überquert hat.
00:15:14: Römermann: Da kann das auch helfen? Da nimmt man das für ein, zwei Tage oder irgendwie sowas?
00:15:18: Nagl: Genau. Also zeitlich begrenzt.
00:15:20: Römermann: Was sagen da die Studien zur Wirksamkeit? Sind das tatsächlich eben auch wirklich wirksame Medikamente? Funktioniert das?
00:15:26: Nagl: Ja, also als Arzneimittel werden ja generell... da gibt es Zulassungsstudien und die werden auf ihre Wirksamkeit natürlich getestet, auf ihre Verträglichkeit und auch auf ihre Sicherheit. Also sie müssen - das ist quasi die Definition von als Arzneimitteln - sie müssen eine pharmakologische Wirkung im Körper auslösen. Also die physiologischen Funktionen im Körper, ja, maßgeblich beeinflussen oder korrigieren, wenn man so will.
00:15:50: Römermann: Und auf der anderen Seite wird Melatonin auch als Nahrungsergänzungsmittel verkauft, das haben wir gerade gesagt. Die Kapseln, die Gummibärchen, die ich in den Drogeriemärkten und dem Supermarkt finde. Was ist der Unterschied zwischen einem Medikament und einem Nahrungsergänzungsmittel? Das sieht ja auf den ersten Blick häufig ganz ähnlich aus. Ich meine, ich habe die dann auch in so Blistern drin. Das sieht für mich auf den ersten Blick fast so aus wie ein Medikament.
00:16:11: Nagl: Ich glaube, viele Verbraucherinnen denken es auch. Nahrungsergänzungsmittel - das sind Lebensmittel, die aber in konzentrierter, abgepackter Form verkauft werden und natürlich auch oft Medikamenten, ähneln. Weil sie eben im Blister verpackt werden oder als Tropfen verkauft werden, aber im Gegensatz zu Arzneimitteln sollen sie keine pharmakologische Wirkung auslösen, sondern sie haben eine ernährungsphysiologische Wirkung und eine ernährungspazifische Wirkung. Sie sollen also die Nahrung ergänzen, wenn ich zum Beispiel zu wenig Kalzium mit der Nahrung aufnehme, könnte ich meine Ernährung damit ergänzen. Das ist der Unterschied.
00:16:43: Nagl: Und wenn ich der Hersteller bin von diesem Nahrungsergänzungsmittel, kann ich das einfach auf den Markt bringen. Ich bin verantwortlich für die Sicherheit, muss aber kein Zulassungsverfahren oder so durchlaufen. Ich muss es nur beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit anzeigen. Ich muss es einfach melden, dass ich das in den Verkehr bringe. Es gibt auch keine Höchstmengen oder so an die ich mich halten muss. Ich muss nur garantieren, dass dieses Lebensmittel sicher ist. Im Gegensatz zum Arzneimittel. Lebensmittel unterliegen dem Lebensmittelrecht und Arzneimittel eben dem Arzneimittelrecht. Und laut Definition darf ein als Arzneimittel kein Lebensmittel sein und umgekehrt. (lacht)
00:17:18: Römermann: Okay, das ist ein komplizierter Fakt. Da kommen wir vielleicht gleich nochmal kurz drauf. Aber jetzt nochmal: Die Dosierungen, die Mengen von Melatonin, die in den Nahrungsergänzungsmitteln stecken... Sind die jetzt sehr viel weniger als in den verschreibungspflichtigen Medikamenten oder ist das ähnlich?
00:17:34: Nagl: Die Dosis schwankt so zwischen 0,5 Milligramm bis 3 Milligramm. In verschreibungspflichtigen Medikamenten liegt sie bei 2 Milligramm. Und im Onlinehandel finde ich auch Produkte bis zu 10 Milligramm, die verkauft werden. Und damit ist die Konzentration höher.
00:17:50: Römermann: Also bei den Nahrungsergänzungsmitteln sind die Konzentrationen teilweise höher als in den verschreibungspflichtigen Medikamenten?
00:17:55: Nagl: Genau. Weil es eben keine Höchstmengenbeschränkungen gibt. Und ich finde eben Präparate, die sowohl Melatonin haben, mit sofortwirksamem Melatonin. Ich hatte das ja schon gesagt: Die Medikamente, die enthalten den Wirkstoff Melatonin als Retard mit verzögerter Freisetzung. Und bei den Nahrungsergänzungsmitteln gibt es welche, die sofort wirken oder die eben verzögern wirken oder auch eine Kombination aus beiden. Und bei Nahrungsergänzungsmitteln kommt eben auch oft hinzu, dass sie kombiniert werden mit anderen pflanzlichen Stoffen zum Beispiel.
00:18:23: Römermann: Baldrian, Lavendel ...
00:18:25: Nagl: Oder Hopfen... Also ich habe keine Einzelpräparate gefunden, meistens in Kombination eben mit anderen Stoffen.
00:18:31: Römermann: Ganz vereinfacht kann man sagen: Es sind die gleichen Stoffe drin, die Dosierungen ist jetzt nicht unbedingt weniger... Man kann schon davon ausgehen, dass das sehr ähnliche Wirkung haben wird. Egal ob auf dem einen Produkt drauf steht Nahrungsergänzungsmittel und auf dem anderen steht drauf Medikament, oder?
00:18:46: Nagl: Ja, ich muss noch dazu sagen: Bei Nahrungsergänzungsmitteln, die Konzentration kann schwanken im Vergleich zur deklarieren Menge.
00:18:53: Römermann: Da ist nicht so sichergestellt, dass es immer die gleiche Menge ist.
00:18:55: Nagl: Genau, wenn da drauf steht ein Milligramm drin, heißt es nicht, dass ein Milligramm drin sein muss. Das kann also um etwa 50 Prozent schwanken, bei Arzneimitteln darf es nicht mehr als 5 Prozent schwanken.
00:19:06: Römermann: Aber jetzt noch mal ganz kurz auf den Punkt gemacht. Es ist der gleiche Stoff drin, es ist Melatonin drin.
00:19:10: Nagl: Ja.
00:19:11: Römermann: Es ist davon auszugehen, es kann schon als Einschlafhilfe funktionieren?
00:19:17: Nagl: Wie gesagt, in der Zulassungsstudie wurde gezeigt, Melatonin als Wirkstoff verkürzt die Einschlafzeit und verlängert die Durchschlafzeit - letzten Endes um einige Minuten, um das jetzt mal so grob zusammenzufassen.
00:19:30: Römermann: Um einige Minuten klingt jetzt auch nicht so weltbewegend.
00:19:32: Nagl: Es ist ja auch nicht weltbewegend, es ist ja auch, wie gesagt, als Wirkstoff in Arzneimitteln bei Schlafstörungen verschrieben. Man versucht da eigentlich auch wieder den natürlichen Rhythmus wiederherzustellen, den natürlichen Schlafrhythmus damit.
00:19:45: Schäche: Das ist ein Unterschied zu Schlaf-Tabletten.
00:19:47: Nagl: Ja, das ist ein Unterschied. Melatonin hat dann natürlich nicht so eine große Wirkung im Vergleich zu anderen Medikamenten.
00:19:54: Schäche: Wir haben jetzt gehört - das kann Einschlafhilfe sein. Aber Produkte mit Melatonin können auch Nebenwirkungen haben. Sagen Sie doch mal kurz, wie da die Studienlage ist. Was gibt es denn dafür Daten?
00:20:14: Nagl: Man weiß es aus den Zulassungsstudien.
00:20:16: Römermann: Also aus den Zulassungsstudien für die Medikamente?
00:20:18: Nagl: Für die Medikamente, von den Patienten sozusagen. Man weiß es aber auch aus Studien mit Gesunden, die Melatonin eingenommen haben. Da gibt es leider nur wenige Studien, auch mit wenigen Probanden, wo man aber Daten hat. Meistens ist auch eher die Wirksamkeit getestet worden und nicht die Sicherheit von Melatonin. Auch in Nahrungsergänzungsmitteln. Aber die sagen eben, dass sie Müdigkeit verspürt haben, Kopfschmerzen, Albträume hatten. Dass sich die Körpertemperatur verringert hat. Und vor allen Dingen wurde eben beklagt eine Abnahme der Aufmerksamkeit und auch eine Abnahme der Reaktionsfähigkeit.
00:20:53: Schäche: Oh, das kann sich ja bestimmt auch auf den Straßenverkehr auswirken, oder?
00:20:56: Nagl: Genau, das ist natürlich problematisch. Weil genau im Folgetag kann es sein, dass dann extrem eine Tagesmüdigkeit auch auftritt, das wurde auch beschrieben, eine gewisse Benommenheit und eben wie gesagt eine Abnahme der Reaktionsfähigkeit, worauf auch hingewiesen wird bei den verschreibungspflichtigen Medikamenten, dass es eben einen mäßigen Einfluss hat auf die Reaktionsfähigkeit und dass man es beachten muss, wenn man zum Beispiel Maschinen bedient oder Auto fährt. Ganz simpel gesagt, weil da wirklich die Aufmerksamkeit doch abnimmt.
00:21:24: Römermann: Also die Aufmerksamkeit am nächsten Tag dann?
00:21:27: Nagl: Am nächsten Tag, genau. Und das kann ja schon Auswirkungen haben, Straßenverkehr auf jeden Fall.
00:21:32: Schäche: Also Melatonin wirkt tatsächlich auf den Schlafwachrhythmus - aber nicht immer so gezielt, wie wir uns das wünschen?
00:21:39: Nagl: Genau, und wenn wir Melatonin als Nahrungsergänzungsmittel einnehmen, greifen wir auch in unseren Schlaf-Wach-Rhythmus ein. Das heißt, die Aufnahme führt eben zu einem starken Anstieg der Melatonin-Konzentration. Also wir erreichen etwa 10 bis 100fach höhere Konzentrationen, als wir sonst hätten, nur durch unsere natürliche Melatonin-Produktion. Und da haben wir natürlich einen starken Anstieg.
00:22:01: Nagl: Das ist einerseits das Problem und was wir andererseits noch sehen, ist, dass wir am Folgetag, nach Einnahme sozusagen, abends, so eine Art Phasenverschiebung haben, dass also die Melatonin-Produktion früher beginnt. Quasi das tatsächlich den Tag-Nacht-Rhythmus muss doch durcheinanderbringen kann und unsere innere Uhr damit auch verstellen kann. Das kann natürlich von Mensch zu Mensch unterschiedlich sein und das ist auch genau das Problem. Die eigene Melatonin-Produktion ist von Mensch zu Mensch sehr, sehr unterschiedlich. Also das bedeutet, ab wann abends Melatonin überhaupt produziert wird, wie hoch das ansteigt im Körper, die Melatonin-Konzentration und zu welchem Zeitpunkt die höchste Konzentration erreicht wird, ist von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich.
00:22:46: Nagl: Deswegen es ist auch schwierig, mit einer Einheitsdosis den Schlaf beeinflussen zu wollen. Und hinzu kommt: Das Melatonin muss ja auch wieder abgebaut werden im Körper und das geht ja eigentlich sehr schnell und das funktioniert über die Leber. Und da gibt es auch spezielle Enzyme, die das abbauen und auch da gibt es eine große Schwankung, wie schnell Melatonin abgebaut wird. Also das kann um den Faktor 10 bis 200 von Mensch zu Mensch schwanken. Das Schlafmuster bei Menschen von Tag zu Tag ist konstant, aber zwischen den Menschen eben sehr verschieden.
00:23:17: Schäche: Ja, Sie sagen ja schon, es gibt die "Lerchen" und die "Eulen", da gibt es die Frühaufsteher oder die Langschläfer. Ja, und Sie sagt noch gerade typische Nebenwirkungen auf den Schlafrhythmus, zum Beispiel Tagesmüdigkeit oder Kopfschmerzen. Wie sieht es denn mit Nebenwirkungen auf andere Körperfunktionen, aus zum Beispiel Blutzucker oder Immunsystem?
00:23:38: Nagl: Aus den wenigen Studiendaten, die vorliegen, da weiß man zumindest aus der Kurzzeitbeobachtung, also bis zu drei Monaten: Probanden die Melatonin eingenommen haben, da wurde ja ein Einfluss auf die Blutzucker-Regulation gefunden, also die Blutzuckerspiegel stiegen an und auch die Insulin-Ausschüttung reduzierte sich.
00:23:55: Schäche: Da sollten dann wahrscheinlich besonders Diabetiker aufpassen, könnte ich mir vorstellen.
00:23:59: Nagl: Genau, also insbesondere auch Menschen, die ein erhöhtes Risiko haben. Also es gibt bestimmte Genvarianten, die mit einem erhöhten Risiko für Typ 2 Diabetes verbunden sind. Und die sollten eben besonders aufpassen, insbesondere wenn sie das Melatonin als Nahrungsergänzungsmittel über einen längeren Zeitraum einnehmen.
00:24:15: Schäche: Und sollte man aufpassen bei der Einnahme mit anderen Medikamenten. Gibt es da irgendwelche Wechselwirkungen? Ist da was bekannt?
00:24:22: Nagl: Ja, die sind auch beschrieben im Beipackzettel bei den verschreibungspflichtigen Arzneimitteln. Und die treffen natürlich auch zu, wenn man Melatonin als Nahrungsergänzungsmittel einnimmt. Das betrifft vor allen Dingen bestimmte Antibiotika oder eben auch bestimmte Antidepressiva. Und auch die Einnahme von Östrogen führt Wechselwirkungen, und zwar nennt man das pharmakokinetische Wechselwirkung, da wird einfach das Enzym stark gehemmt und so steigen die Melatoninspiegel im Körper an.
00:24:50: Schäche: So praktisch bei den...
00:24:51: Nagl: Weil das Melatonin nicht abgebaut wird im Körper.
00:24:54: Schäche: Also praktisch, wenn man die Wechseljahre hat und dann Östrogene einnimmt?
00:24:56: Nagl: Genau, das führt dazu, dass das Melatonin-abbauende Enzym in der Leber stark gehemmt wird. Und so bleiben die Melatoninspiegel über einen langen Zeitraum hoch.
00:25:05: Musik]
00:25:13: Römermann: Also halten wir fest, Melatonin ist tatsächlich ein wirksames Mittel, aber es kann auch tatsächlich gesundheitliche Probleme und unerwünschte Wirkungen verursachen. Was heißt das jetzt für mich persönlich? Wenn ich Probleme beim Einschlafen habe,
00:25:26: kann ich dann trotzdem, ich sag mal bedenkenlos, mal für eine Weile Melatonin-Kapseln nehmen, weil die Nebenwirkungen unterm Strich doch eher selten sind oder was würden sie mir da raten?
00:25:35: Nagl: Ich würde das nicht über einen längeren Zeitraum unkontrolliert einnehmen. Wenn ich das Gefühl habe, ja, unter Schlafstörungen zu leihen, dann würde ich natürlich mir ärztlichen Rat einhole, wenn es länger anhält. Viele Menschen, die fühlen sich vielleicht gesund, aber die können vielleicht auch ein erhöhtes Risiko für Diabetes Typ 2 haben oder eben ja auch schon bestimmte Medikamente einnehmen.
00:25:55: Römermann: Wie steht es um Kinder? Wir haben ja schon gehört, Melatonin wird auch als Gummibärchen beispielsweise angeboten.
00:26:01: Nagl: Also zum einen können natürlich Kinder das im Haushalt finden. Und einfach mal nehmen, also das ist ja ein Gummibärchen. Und zum anderen können natürlich auch die Eltern in ihrer Risiko-Wahrnehmung vielleicht denken: Ach, das kann ich ja vielleicht meinem Kind mal geben. Also die Wahrnehmung dafür ist vielleicht auch nicht da, das birgt natürlich ein Risiko.
00:26:19: Schäche: Dass es so harmlos wirkt.
00:26:20: Nagl: Dass es so harmlos wirkt und so ein Kind dann...
00:26:22: Römermann: Grundsätzlich kann man sagen, Kinder sollten vorsichtig sein, vermutlich auch andere empfindliche Bevölkerungsgruppen?
00:26:28: Nagl: Vor allem die Eltern. Genau. Empfindliche Bevölkerungsgruppen.
00:26:30: Römermann: Schwangere, stillende Frauen, vermutlich Menschen mit Vorerkrankungen, lieber nicht?
00:26:39: Nagl: Lieber nicht... Also Lebererkrankungen, Nierenerkrankungen, Autoimmunerkrankungen, Epilepsie, Kinder, Schwangere, Stillende.
00:26:42: Römermann: Gut, und allgemein der Rat, wenn ich Schlafstörungen habe, im Zweifelsfall lieber zum Arzt gehen?
00:26:48: Nagl: Ja, auf jeden Fall, ja. Ich würde erst mal gucken, ob ich eventuell Verhaltensänderungen durchführen kann oder so, die dazu führen, dass ich vielleicht besser schlafe. Aber ansonsten natürlich: Immer wenn die Schlafstörungen über einen längeren Zeitraum anhalten, ja, würde ich einen rätlichen Rat einholen.
00:27:03: Schäche: Ja, nach all dem, was Sie jetzt gerade gehört haben, fragen sich vermutlich auch viele Hörer, wieso Melatonin eigentlich als Nahrungsergänzungsmittel verkauft werden darf. Das ist jetzt natürlich nicht unsere Zuständigkeit beim BfR, aber ganz kurz nochmal zur Einordnung, wenn ich das richtig verstanden habe, wird derzeit auch geprüft, ob Nahrungsergänzungsmittel mit Melatonin überhaupt weiter verkauft werden dürfen oder ob sie vom Markt genommen werden sollten?
00:27:28: Nagl: Ich versuch das mal ein bisschen einzuordnen. Das ist eine graue Zone. Ich hatte ja schon gesagt, also laut Definition dürfen Arzneimittel kein Lebensmittel sein und umgekehrt. Es ist so, dass es in Deutschland nicht das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit und auch nicht das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte regelt, sondern das ist immer Sache der Länder, der Bundesländer von den Überwachungsbehörden. Es sind immer komplizierte Einzelfallentscheidungen. Jedes Produkt muss quasi beurteilt werden, ob es gesundheitsschädlich ist, ob es verkehrsfähig ist und oft führt es dann auch zu gerichtlichen Auseinandersetzungen, die sich immer langen Zeitraum strecken und so lange ist das Nahrungsergänzungsmittel verkehrsfähig.
00:28:08: Schäche: Aber könnte am Ende herauskommen, dass die vom Markt genommen werden? Ist sowas denkbar?
00:28:11: Nagl: Ich sage dir schon, das wird von Produkt zu Produkt entschieden und das ist wirklich eine sehr komplizierte Angelegenheit, anders kann man das gar nicht sagen.
00:28:21: Römermann: Damit kommen wir so langsam zum Schluss der Folge. Frau Nagl, bringen Sie es noch einmal ganz kurz auf den Punkt, warum ist Melatonin aus Ihrer Sicht eben keine komplett harmlose Einschlafhilfe?
00:28:40: Nagl: Melatonin ist ein körpereigenes Hormon, es unterlieg einem Regelkreis und wenn wir in diesen Regelkreis eingreifen, indem wir Melatonin von außen zuführen in den Körper kann es eben Auswirkungen auf unseren Schlaf-Wach-Rhythmus haben.
00:28:53: Römermann: Und auch an Stellen, die wir eigentlich so eigentlich nicht wollen?
00:28:55: Nagl: Genau! Und dann noch weitere Funktionen eventuell ungünstig beeinflussen im Körper.
00:28:59: Römermann: Das war es dann mit unserer Risiko-Folge für heute. Unser Gast war Frau Dr. Britta Nagl aus der Abteilung Lebensmittelsicherheit bei uns hier am Bundesinstitut für Risikobewertung. Liebe Frau Nagl, vielen Dank für das spannende Gespräch.
00:29:19: Nagl: Ja, ich bedanke mich.
00:29:21: Schäche: Ja, und wenn Ihnen der Podcast gefallen hat, dann abonnieren Sie doch am besten gleich unseren Kanal. Risiko gibt es so ziemlich überall, wo es Podcasts gibt, also auf allen gängigen Streaming-Plattformen und in allen wichtigen Podcast-Apps. Aber Sie finden alle Folgen natürlich auch auf unserer Webseite, also der Webseite vom BfR, zum Nachhören. Wenn Sie mögen, können Sie uns aber auch gerne eine E-Mail schicken mit Lob, mit Kritik oder auch mit Anregungen für andere Podcasts Themen. Unsere E-Mail-Adresse lautet podcast@bfr.bund.de
00:29:53: Römermann: Ja, und das war es für heute. Hier am Mikrofon verabschieden sich Sonja Schäche und Stefan Römermann.
00:29:58: Schäche: Und wir sagen danke fürs Zuhören und tschüss!
00:30:01: [Musik]